Freitag, 23.10.1992 | 15.30h – 18.30h: “Europa-Festival” (Schulfest im Schulzentrum Sebastopol) |
Dienstag, 27.10.1992 | 8.30h: Ökumenischer Gottesdienst in der Franziskuskirche 19.30h: “Oliver” (Musicalaufführung der AG “Tanz-Theater-Musik” im Schulforum; Leitung: P. Dölle, K. Stelz, B. Willenbrock) |
Mittwoch, 28.10.1992 | 15.00h: “Wir bauen das europäische Haus” (Gestalterische Aktion; Leitung: T. Johannsmeier, U. Look) |
Donnerstag, 29.10.1992 | 8.00h – 12.30h: “Tag des Sports” (Demonstration von Beispielen aus dem Schulsport) 19.30h: “Dracula Spectacula” (Musicalaufführung im Schulforum durch die Theater-AG der Scholengemeenschap Zutphen; Leitung: F J. Dijkstra) |
Freitag, 30.10.1992 | 8.00h – 12.30h: “Europäische Perspektiven und Probleme” (Projektunterricht für die Schülerinnen und Schüler) |
Samstag, 31.10.1992 | 11.00h: Festakt im Schulforum; Festvortrag: Dr. R. Glöckner, Oberbürgermeister von Greifswald; Empfang bei Sekt und Saft; Ausstellung von Schülerarbeiten aus dem Kunstunterricht im ersten Obergeschoß 20.00h: Jubiläumsfest “125 Jahre EMA” im Kaffeehaus Osterhaus; es spielt die Gruppe “Jitterbug” (Kartenbestellung erforderlich; Einlaß ab 19.30h) |
19.30h: „Oliver“ (Musicalaufführung der AG „Tanz-Theater-Musik“ im Schulforum; Leitung: P. Dölle, K. Stelz, B. Willenbrock)
Partnerschulen in Europa. Vertreter aus fünf Ländern Gäste des Gymnasiums
Die Schülerinnen und Schüler des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums haben die Möglichkeit, mit Schülern aus vier Partnerschulen in Twer (Rußland), Zutphen (Niederlande), Bournemouth (Großbritannien) und Angers (Frankreich) Kontakte zu knüpfen. Wegen des 125-jährigen Jubiläums der Schule mit dem Thema „Europa hier“ kamen aus allen vier Partnerschulen Besucher nach Osnabrück. Für das Gymnasium war das etwas Besonderes, da vorher noch nie alle vier Schulen gleichzeitig zu Gast waren.
Vor allem die 38 Gäste aus Twer fanden das Programm der Festwoche, an dem sie mit einem russischen Tanz mitwirkten, sehr gut. Sie hatten die Strapazen einer 48stündigen Busreise auf sich genommen, wobei sie zehn Stunden an der russischen Grenze verweilen mußten.
Eine weitere intensive Beziehung besteht seit acht Jahren zu Zutphen. Sie ist schon so selbstverständlich, daß sogar Lehrer für eine gewisse Zeit an der jeweiligen Partnerschule unterrichten. Natürlich nehmen an diesem Austausch auch Schüler teil, wobei sich meistens Klassen gegenseitig für eine Woche besuchen.
Bereits seit zehn Jahren besteht die Freundschaft mit Angers. Zur Festwoche erschienen vier Lehrpersonen, allerdings ohne Schüler, da diese zur Zeit Ferien haben und~es. bevorzugten, mit ihren Eltern in den Urlaub zu fahren. Der Austausch mit dem Lycee Emanuel Mounier d’Angers besteht erst seit einem Jahr, so daß es verständlich ist, daß die Schüler ihre Ferien nicht ohne weiteres für das Jubiläum „opfern“.
Die Engländer sind mit zwei Lehrerinnen angereist, da sich der Austausch mit Bournemouth erst noch im Anfangsstadium befindet. Der Grund hierfür ist, daß in England die erste Fremdsprache Französisch ist und daß bei den Engländern der Austausch mit französischen Schulen im Vordergrund steht. Vor allem die Schüler der 7. und 8. Klassen des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums sind an einem Austausch mit England interessiert, da in ihrem Lernstadium Sprachgewandtheit von großem Vorteil für sie ist.
Auch auf der englischen Seite besteht große Nachfrage an diesem Austausch, und so hoffen wir, daß dieser im nächsten Jahr zum ersten Mal stattfinden wird.
Begeisterung auf beiden Seiten. Gespräch mit Lehrerinnen aus Twer
Anläßlich des 125. Jubiläums des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums reisten 36 Gäste der russischen Partnerschulen aus Twer an. In einem Gespräch mit den beiden Deutschlehrerinnen Larissa Efimowa und Ewgenija Wesselowa erhielten wir interessante Informationen über die partnerschaftlichen Beziehungen zwischen der Schule Nr. I, dem neugebauten Lyceum Nr. I und dem EMA.
1988 begann die Partnerschaft mit einem Briefwechsel, dem 1989 der erste Austausch von Schülergruppen folgte. Zehn Gymnasiasten des EMAs fuhren nach Twer und wurden bei russischen Schülern untergebracht. Zuerst waren sich die Partner ziemlich fremd, doch nach und nach lernten sie sich besser kennen, und es entstand oftmals eine feste Freundschaft.
Die Reisekosten der russischen Schüler werden in diesem Jahr wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Rußland zum Teil von sogenannten Paten aus der Wirtschaft getragen. Begeisterung ist auf beiden Seiten immer wieder zu finden, sowohl bei den russischen Gästen, die während ihres Besuches die Sehenswürdigkeiten Osnabrücks und seiner Umgebung besichtigen, als auch bei den deutschen Austauschschülern, die unter anderem Torshok und Moskau kennenlernen.
Das Interesse der russischen Schüler wird vor allem dadurch erweckt, daß sie sich im Deutschunterricht mit dem Land und besonders mit ihrem Reiseziel Osnabrück befassen. Durch den Austausch sind viele russischen Eltern zu der Überzeugung gelangt, daß ihre Kinder neben dem Englischangebot auch vermehrt an den Deutschkursen teilnehmen sollten. Die beiden Lehrerinnen betonen aber, daß ihre Schule sich sehr darüber freuen würde, wenn sich auch Schüler, die das Fach Russisch nicht belegt haben, an dem Austausch beteiligen könnten.
Ein einiges Europa nicht aus den Augen verlieren. Interview mit dem ehemaligen Schüler Christian Wulff
Christian Wulff, der Vorsitzende der CDU-Fraktion des Stadtrates Osnabrück und Bezirksvorsitzender der CDU Osnabrück-Emsland, ist ehemaliger Schüler des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums. Er war Schülersprecher von 1975 bis 1980. Mit ihm führten wir folgendes Interview:
Frage: Was verbindet Sie noch mit Ihrer alten Schule?
Antwort: Ich habe noch lebendigen Kontakt zu vielen Lehrern, Eltern und ehemaligen Mitschülern. Ich bin Mitglied des Fördervereins, den ich selber mitgegründet habe, und verfolge mit Interesse die Entwicklung der Schule. Wenn man also über längere Zeit an einer Schule gewesen ist und einem das Ganze nicht völlig egal ist, dann behält man eigentlich immer eine Bindung über das ganze Leben, auch wenn sich das vielleicht ein wenig pathetisch anhört.
Frage: 1980 wurde das Gymnasium von der Lotter Straße in den Stadtteil Haste/Dodesheide verlegt. Welche Gründe gab es dafür?
Antwort: Die Politiker und Verwaltung der Stadt haben damals gesagt, daß das Gymnasium am alten Standort keine Zukunft habe, weil sonst die Schülerzahl am alten Standort nur zurückgehen würde. Das ist Unsinn. Ich habe die Verlegung mit sehr viel Wehmut gesehen und war immer für das alte Gebäude. Andererseits wollte man dem Stadtteil Haste/Dodesheide ein wohnortnahes Gymnasium zukommen lassen.
Frage: Hat die Schule als ein eigenständiges Gymnasium noch eine Zukunft?
Antwort: Ich bin ein großer Anhänger des gegliederten Schulsystems. Das bedeutet, daß, wenn man bei dieser Politik bleibt, auch das „EMA“ an diesem Standort Zukunft haben wird. Es ist mit Fachräumen und Nebenräumlichkeiten, wie der Turnhalle, gut ausgestattet und hat ein geschlossenes Lehrerkollegium. Von daher kann es einen qualifizierten Unterricht bieten und wird auch die nächsten 125 Jahre bestehen können.
Frage: Für das Schuljubiläum wurde das Motto „Europa hier“ gewählt. Wie kann man den europäischen Gedanken in der Schule lebendig machen?
Antwort: Angesichts der vielen Probleme, die im Moment durch die deutsche Einheit auch im Osten Deutschlands auftreten, gibt es die Gefahr, daß man sich immer mehr den eigenen Schwierigkeiten hier zuwendet und man dabei das große Ziel des einigen Europas aus den Augen verliert. Das kann man nur dadurch bekämpfen, daß man die Ideen Europas vielleicht etwas mehr in den Vordergrund stellt:
1. Frieden schaffen. Es ist eben so, daß sich in Europa die Völker und Länder stets durch Kriege bekämpft haben und daß es heute erstmals völlig unmöglich ist, daß es einen Krieg geben könnte zwischen einem Land der EG mit einem anderen. Es ist einfach ausgeschlossen, und das war über Hunderte von Jahren nicht so. Die jüngeren Generationen werden ein ganzes Leben lang ohne Krieg leben können. Damit ist die EG Vorbild für alle anderen Teile der Welt, was die Schaffung von Frieden anbelangt.
2. Wirtschaftlicher Erfolg. Nirgendwo können die Menschen so gut, sicher und erfolgreich leben wie innerhalb der EG. Wenn sich jetzt wieder jedes Land abschottet, dann wird man diesen wirtschaftlichen Erfolg in Europa nicht aufrecht erhalten können gegenüber Amerika, Asien und den anderen Teilen der Welt. Die Chance Europas liegt darin, einen einheitlichen Markt zu schaffen, wo man nicht viel Geld für Grenzen (Kontrollen), Zollformalitäten und Wechselkurse ausgibt. Wenn es irgendein Ziel gibt, das heute ganz wichtig ist, dann ist es dieses: Die Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen.
8.00h – 12.30h: „Europäische Perspektiven und Probleme“
(Projektunterricht für die Schülerinnen und Schüler)
11.00h: Festakt im Schulforum; Festvortrag: Dr. R. Glöckner, Oberbürgermeister von Greifswald
Lasst uns nach Kräften zur Heilung suchen
Festrede zum 31.10.1992 von Dr. Reinhard Glöckner, Oberbürgermeister von Greifswald
Der Festakt im Forum hatte am 31. Oktober 1992 schon zwei Stunden gedauert. Alle Teilnehmer hatten die vier offiziellen Grußworte, die vier Grußworte aus den Partnerschulen und die umfangreichen musikalischen Beiträge aus Greifswald und die aus Osnabrück angehört, – als Dr. Glöckner endlich mit seiner Festrede beginnen konnte. Er regte uns alle erst einmal an, aufzustehen, uns um die eigene Achse zu drehen und dadurch erfrischt wieder Platz zu nehmen. Lachen und Beifall lohnten es ihm. Einleitend dankte er der Bundesregierung und der Stadt Osnabrück, deren Oberbürgermeister Hans-Jürgen Fip ihn zuvor besonders herzlich begrüßt hatte und an dem ganzen, langen Festakt teilnahm, für die vielfältige Hilfe im guten Prozeß der Einigung Deutschlands. – Sodann führte er aus:
… Ich möchte Ihnen auch danken für die Ehre, die Sie mir zuteil werden ließen, daß ich hier die Festansprache halten soll. Ich werde sprechen über das Thema „Europa hier“ und über den Mann Ernst Moritz Arndt.
In den allerletzten Tagen habe ich einen sehr persönlich an mich gerichteten Gruß erhalten. Da wird Walther von der Vogelweide zitiert, der vor ungefähr achthundert Jahren gesagt hat:
„untriuwe ist in der sâze, gewalt vert ûf der strâze, frîde und reht sint sêre wunt.“
Und das ist die Wahrheit. Friede und Recht sind sehr wund.
Zwar ist es besser geworden. Denn wenn ich an mein eigenes Leben denke, so habe ich erlebt, wie der Friede in Europa aufe äußerste gefährdet war.
Es gab Zerstörungen. Ich kenne die zerstörten Städte, Dresden vor allem. Sie kennen die Zerstörung Ihrer eigenen Stadt vielleicht von den Bildern, die im Rathaus in Osnabrück hängen. Ich habe Bremen gesehen und Berlin und Leipzig… Alle waren kaputt und zerstört, und das nicht nur in unserem Land, sondern so weit der Kontinent geht. Das war der nationale Krieg in Europa. Und wenn wir als deutsche Nation unser Leben weitergestalten, sollten wir niemals vergessen, wie sehr wund der Friede und das Recht sind. Wir haben weiterhin einen schlimmen kalten Krieg erlebt. Und es stand nahe bevor, die Auslöschung unseres Landes zuerst zu bewerkstelligen. Erinnern Sie sich bitte, es ist noch keine zehn Jahre her, daß die Hochrüstung vor allem unser Vaterland bestückt hat mit all den Waffen, die zur totalen Vernichtung hätten beitragen können. Es waren pro Kopf für etwa dreitausend Leute so viele Atomwaffen zusammengebracht, wie es einer ehemaligen Hiroshima-Bombe entspricht. Das heißt: Für Greifswald standen etwa fünfundzwanzig solche Bomben bereit, und ähnlich wird’s gewesen sein für Osnabrück. Das meiste davon ist ja hier in unserem eigenen Land stationiert gewesen auf beiden Seiten.
Wir haben erlebt, daß der Wirtschaftskrieg zwischen der sogenannten freiheitlichen und der sogenannten gerechten Gesellschaft, die sich sozial oder sozialistisch oder kommunistisch genannt hat, stattgefunden hat. Ich kann diese Formel nicht mehr hören, die Formeln, die zur Selbstrechtfertigung dieser gegenseitigen Vernichtung geführt haben: „Sozialismus, das ist Frieden“, hieß es für unsere Soldaten, „Friede in Freiheit“ war die Formel für das westliche Militär.
Man wollte die Sicherheit der Freiheit und die Sicherheit des Systems im Osten mit derartigen Waffen erkaufen. Gott sei Dank, daß es uns gelungen ist, das östliche System zu überwinden! Es ist letzten Endes überwunden worden, weil es wirtschaftlich nicht effektiv war, weil es wirtschaftlich in sich zusammengebrochen ist. Und so ist die Entspannung in den letzten Jahren über uns gekommen, und wir haben nun die Freude, in einem entspannten Europa leben zu können. Ich sehe aber, daß nach dem Zusammenbruch der darüberliegenden Decke an vielen Stellen die Kämpfe wieder aufbrechen. Meine Söhne sind in diesem Sommer mit dem Wagen in Tiflis gewesen. Sie sind dort in die Kämpfe hineingeraten. Sie sind über die Türkei zurückgefahren und sind nahe bei den Kurden auf dieser Strecke vorbeigekommen. Sie sind über Bulgarien, Rumänien, Ungarn zurückgekommen und haben nachts an der jugoslawischen Grenze die Feuer brennen sehen. Und sie sind gekommen nach Greifswald, und siehe da: Auch in Greifswald ist Gewalt auf der Straße. Es ist schrecklich, zu sehen, was da an Spannungen aufgearbeitet werden muß.
Friede und Recht sind noch immer sehr wund. Und wenn wir Heilung suchen und wenn wir uns bemühen, hier eine Zukunft aufzubauen, in der nicht mehr die Vernichtung, sondern ein friedliches Leben steht, dann haben wir miteinander zu versuchen, wie wir die gute Gelegenheit der offenen Grenzen, der Entspannung schnell und gründlich nutzen, um Europa aufzubauen.
In dem westlichen Bereich hat das Wirtschaftssystem gesiegt. Es hat sich als stark und kräftig erwiesen. Damit ist die Friedensordnung von Westeuropa auch gestärkt, gefestigt und nicht mehr gefährdet. Sie nun auszubreiten und alle hineinzubeziehen ist eine schwere Arbeit. Ich denke, wir werden es in Deutschland mit der großen Kraft, die wir haben, schaffen.
Ich denke auch, wir werden es in dem Teil Europas schaffen, der sich traditionell seit Jahrhunderten, ja seit über tausend Jahren als der römisch-katholische Teil versteht. Es ist eine ganz besondere und mühevolle Anstrengung, auch die über tausend Jahre geschaffene religiöse Grenze zum griechisch-orthodoxen Europa zu überwinden. Das ist eine schlimme Spaltung, und wir sollten vorsichtig und behutsam damit umgehen, aber spüren und merken, wie überall an den religiösen Grenzen jetzt auch die Konflikte offen daliegen, daß wir das gemeinsame Europa aus der katholischen und aus der orthodoxen Tradition, was viele heute schon vergessen haben, wieder zusammenbringen.
Das Rüstzeug für solche Heilung wird an der Schule Ihnen allen dargereicht. Es ist ein geschichtliches Bewußtsein, es ist die Kenntnis der Sprachen, und vor allen Dingen in vielfältiger Weise sind es die Regeln der Vernunft. Mein Appell ist immer wieder, weil ich’s zu oft gesehen habe: Daß man die Vernunft nicht mißbraucht für seine eigenen Zwecke, sie zu seinem Diener macht, um die eigenen Zwecke durchzusetzen, sondern daß man sich die viel schwerere Aufgabe auferlegt, sich selbst zum Diener der Vernunft zu machen, koste es Opfer, so hoch, wie sie auch immer sind. Das hoffe und wünsche ich, daß dieser Geist und diese Selbsteinstellung in der Schule mitwachsen. Denn wenn die Vernunft nicht herrschen soll, sondern nur die eigenen Interessen, dann wird ein Europa nicht Zustandekommen.
Ihr Gymnasium trägt den Namen des Mannes Ernst Moritz Arndt. Und ich habe die Hoffnung, daß der eine und andere Ihrer Absolventen eines Tages nach Greifewald kommt, an die Ernst-Moritz-Arndt-Universität, um dort sein Lernen fortzusetzen und die Gegend, in der dieser Mann aufgewachsen ist, kennenzulernen. Wenn wir uns in Greifswald aufs Boot setzen und fahren einen halben Tag über den Bodden, dann kommen wir an die Schoritzer Wiek. Da legen wir an für zwei, drei Stunden und segeln wieder zurück. Dort in Schoritz ist er geboren, in Greifewald hat er seine erste Berufserfahrung gemacht, in Vorpommern hat er studiert. Aber er kannte Europa außerordentlich genau. Und ich bin sicher, daß er die Sprachkenntnisse und die Beweglichkeit hatte, zu seiner Zeit mit dazu beizutragen: Wie kann man Recht und Frieden heilen? Sein Gedanke war: Es müssen die vielen deutschen Staaten zusammengeführt werden, damit Deutschland insgesamt ein Staat wird, Baustein für ein zukünftiges Europa wird. Ernst Moritz Arndt ist sehr umstritten, weil er solch ein Franzosenhasser gewesen ist. Er ist sehr umstritten, weil er die nationale Emotion so weit hochgetrieben hat. Und ich selbst finde es am schlimmsten, daß er so innig das Christentum und das nationale Heidentum miteinander verbinden wollte. An dieser Stelle ist er wirklich mit großer Kritik zu sehen.
Aber dennoch sollten wir nicht vergessen, daß sein Bemühen war, damals dem Frieden und dem Recht mehr Geltung zu verschaffen und Wunden zu heilen, die zu seiner Zeit geschlagen waren. – Ich habe nachgedacht. Warum hat er denn Frankreich so gehaßt? Warum hat er sich so sehr für Deutschland eingesetzt? Ich denke, es hängt mit seinem Glauben zusammen, weil er sich in einer sehr konservativen Weise an die Traditionen des christlichen Glaubens gebunden wußte und weil die Revolution ein Stück Atheismus mit sich geführt hat und Ablehnung des christlichen Wesens. Ich vermute, daß dort die tiefste Wurzel seines Abscheus gegenüber den damaligen Bestrebungen war, die in Europa sonst sehr viel Anklang gefunden hatten und die ja auch letztendlich zu einer neuen europäischen Ordnung geführt haben. Er aber, Ernst Moritz Arndt, sah darin eine Gefährdung des Glaubens an den alten Gott, den treuen Gott, der nach wie vor die Länder regiert und das Leben der Menschen beherrscht. Er war verwurzelt in diesem Glauben, er war verwurzelt in dem Land seiner Sprache und in seiner Heimat. Und so hat das Wort „Treue“ für ihn einen sehr starken Klang bekommen. Wenn man einen Dichter, einen Schriftsteller, einen Politiker sucht, der der Treue insbesondere verschrieben war, so ist es Ernst Moritz Arndt.
Gelegentlich denke ich: Wer so treu ist, der ist ja dumm! Und bei all den Ehescheidungen kann man immer wieder erleben, daß manch einer weitere Treue für Dummheit hält und sich lieber seine Freiheit sucht, statt das Vertraute weiterhin zu bewahren, statt sich Mühe zu geben, daß das Vertraute befreundet bleibt, und das Vertrauen, die Treue aufrechtzuerhalten. Dennoch leben wir ja davon, daß Zuverlässigkeit da ist, Vertrauen und Treue.
Darum denke ich, sind es zwei Dinge, die heute uns anvertraut sind, um die Wunden in Europa zu heilen.
Wir brauchen zum einen eine große Weltoffenheit, wir brauchen eine große Beweglichkeit und darin unter allen Umständen eine sehr große und aktive Toleranz und Nähe zueinander.
Aber in dem Europa, das sich aufbaut, wird es zum anderen auch gehen um die Regionen, die Regionen, die zum einen den starken nationalen Charakter der Völker etwas auflockern, damit die nationalen Zwischentöne dem Frieden mehr Raum geben. Ein Europa der Regionen wird das Europa sein, in dem wir leben wollen.
Und das bedeutet, daß wir außer Beweglichkeit und Weltoftenheit auch ein Stück Treue zu unserer eigenen Region haben müssen, daß jeder zu seinem eigenen Stand steht, zu seiner eigenen Umgebung, zu den Menschen, die um ihn herum sind, und zu dem Land, dem er zugehört. Ich denke, das macht Europa nicht ärmer, sondern reicher, wenn wir dieses Vertrauen und diese Treue aufbauen, beginnend in der eigenen Familie, festhaltend im Umkreis und dann für solche Kraft sorgend, daß wir immer imstande sind, auch alle anderen, die zu uns kommen – und das wird in reichem Maße sein -, mit dieser Region, mit diesem Hintergrund vertraut zu machen und ihnen zu helfen, daß sie sich bei uns wohlfühlen können.
Selbstverständlich braucht deswegen ein Schüler nicht hier hängenzubleiben. Selbstverständlich wird er seinen Weg gehen und sich seinen neuen Platz suchen. Aber auch dort wird er Treue brauchen. So, denke ich, können wir dazu beitragen, daß Heilung von Friede und Recht in Europa geschaffen wird.
Lassen Sie mich darum an den Schluß ein Lied stellen, das Sie in den Kirchengesangbüchern finden und das von Ernst Moritz Arndt stammt. Es heißt:
Die Treue steht zuerst, zuletzt
Im Himmel und auf Erden.
Wer ganz die Seele dreingesetzt,
Dem soll die Krone werden.
Drummutigdrein, und nimmer
bleich!
Denn Gott ist allenthalben.
Die Freiheit und das Himmelreich
Gewinnen keine Halben.
Was wir gewinnen müssen, ist, meine ich, die Einheit in Europa, wirklich, bis hin in den orthodoxen Bereich, der seit über tausend Jahren sich abgespalten hatte oder abgespalten worden ist von dem westlichen römisch – katholischen Reich. Sowenig wir das heute noch so sehen, so tief sind die Wurzeln der Zusammengehörigkeit wie auch der Trennung doch da begründet.
Und wir brauchen ein Europa, meine ich, das sehr schnell die Kraft gewinnt, der Hauptaufgabe Ihrer Generation gerecht zu werden. Das ist, meine ich, die Versöhnung und die Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd, zwischen der sogenannten Dritten Welt und der Welt in unseren Regionen. Denn das kommt mit Riesenschritten auf uns zu.
Und wenn wir unseren Hintergrund in Europa nicht geordnet haben und nicht geklärt haben, werden wir nicht in der Lage sein, dieser Herausforderung zu begegnen. Ich freue mich, daß es meiner Generation weithin möglich gewesen ist, ein Stück Frieden in Europa etwas stärker wachsen zu lassen. Ich weiß aber, daß es die Aufgabe der Kommenden an allererster Stelle sein wird, die noch viel größere Aufgabe schnell und gründlich anzufassen und zu bewältigen, nämlich die Spannung zwischen der südlichen Halbkugel und dem Nordbereich aufzugreifen und zu überwinden im Sinne der Gerechtigkeit.
„Untreue ist auf der Sasse…, Gewalt ist auf der Straße…, Friede und Recht sind sehr wund.“ Lassen Sie uns suchen nach den Kräften, die zur Heilung beitragen, damit wir beginnen: ein Europa hier!