Dieser Text ist ein „2-in1-Artikel“ über die Geschichte(n), die mittels sechs schweren Fotoplatten in den KU21 gelangte(n) und ein im Lockdown begonnenes, fächerverbindendes, digitales Projekt über Anne Frank der Fächer Kunst und Deutsch in der Klasse 10c. Am Ende findet Ihr einen Hinweis auf eine Ausstellung im Rahmen unseres Engagements für eine Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage.
„Eigentlich“ ist ja aus meiner Sicht DAS Wort der Pandemie…Eigentlich wollten wir mit dem Jahrgang Q2 doch noch wegfahren, und zwar nach Berlin. Berlin ist nicht Rom oder London, aber eigentlich auch cool, besser als nix. Eigentlich war der Besuch des Künstlers und Keramikers Thomas Stüke als Vorbereitung des Kunstkurses auf erhöhtem Niveau auf den Besuch der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen gedacht.
Und eigentlich weiß man ja schon soviel über „diese Zeit“ aus dem Geschichtsunterricht…Wieso muss man sich dann damit auch noch in Kunst beschäftigen?
„Ich finde in der Schule und auch sonst wird immer wieder viel über die NS-Zeit geredet, sodass man schon so viel weiß und nur noch von wenigen Ereignissen und Taten von damals wirklich überrascht oder beeindruckt werden kann. Aber dieses Kunstwerk und die gestrige Doppelstunde haben genau das geschafft“, so fasst es Lisa Lohmann zusammen.
Mit einem Lieferwagen kam Thomas Stüke an, die sechs großen Platten, die er mitgebracht hatte, legte er wie riesige Memory-Kärtchen auf den Boden.
„Es war abwechslungsreich und echt cool mal wieder ein anderes Gesicht zu sehen in der Schule. Außerdem fand ich das toll, dass Thomas uns mit einbezogen hat und wir auch über die „Platten“ gehen konnten und unsere ersten Eindrücke äußern konnten“, schildert Isabel Mohr den Einstieg. „Ich war zwar etwas erschrocken und erstaunt, dass so schöne Aufnahmen einen schrecklichen Hintergrund haben, aber fand es auch bemerkenswert, dass so viel Ruhe und Aufwand benötigt wird für solche Aufnahmen – und wie die ganze Atmosphäre sich ändert mit dem Wissen. Das Gefühl hat sich auf jeden Fall geändert, als wir die Hintergrundinfos erfahren haben. Insgesamt war das eine echt interessante Erfahrung, was Fotografien in einem auslösen können.“
Thomas Stükes Projekt „Begangene Geschichte“ kommuniziert mit den jungen Betrachter*innen: Mit der Information, dass es sich um Fotografien von historischen Böden von Orten handelt, an denen Nazi-Verbrechen stattfanden, verschwindet die Unbekümmertheit, mit der zuvor die Schülerinnen (unsere Jungs hatten leider beide gefehlt) über die Platten gingen. Auschwitz, Bergen-Belsen, die Treppe im Gestapokeller, Sachsenhausen, …die Orte sind Synonym oder unbekannt, das folgende Gespräch ist intensiv. Plötzlich liegen die einen Quadratmeter großen Platten in unserem Kunstraum unfassbar schwer, geradezu bleiern in unserer Mitte.
„Am Anfang habe ich einfach hingenommen darüber zu laufen, doch als aufgelöst wurde, dass die Böden auch aus KZ’s sind und jedem Boden/ jedem Bild ein Name zugeordnet wurde, habe ich Gänsehaut bekommen,“ berichtet Lisa. „Die Erzählungen und die Vorstellungen an die Geschehnisse aus der Vergangenheit waren auf einmal so lebhaft. Ich habe niemals erwartet, dass vermeintlich einfache Böden so eine Wirkung haben könnten.“
Statt sich der Betroffenheit zu ergeben, forderte dieser nun verstörte Blick auf etwas eigentlich Banales jedoch rasch zu zahlreichen Fragen auf. Thomas Stüke, mit dem die Kunstlehrerin des Kurses, Maja Sturm, vor einigen Jahren an einer Israel-Fahrt mit Zertifikatskurs an der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem (Israel) teilgenommen hatte, gelang es, unverkrampft und sensibel die Emotionen des Kurses aufzugreifen, die Fragen sprudelten nur so und natürlich interessierte uns auch das künstlerische Konzept hinter der Arbeit, die ja insgesamt aus 120 Fotografien im Maßstab 1:1 an 20 Orten , darunter auch Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, besteht.
„Mit seinem Vortrag hat mir der Künstler gezeigt,“ betont Lea Maria Steigerwald, „wie wichtig es ist, auch mal auf die kleinen Dinge wie eigentlich stinknormale Fußböden in unserem Alltag zu achten. Jede Wand oder jeder Fußboden hat seinen eigenen Wert und seine eigene Geschichte. Außerdem hat mich dieses Projekt in gewisser Weise inspiriert etwas Neues auszuprobieren und vielleicht mit der Fotografie zu beginnen.“
Das Feedback des Kurses? „Wirklich, wirklich krass diese Doppelstunde“, „sehr cool“, „unglaublich fesselnd“, und Joeline Schröter fasst es so zusammen: „Ich find das ganze Konzept seines Werks sehr gut. Zumal ich persönlich gar nicht damit gerechnet habe, dass es sich um dieses Thema handelt. Die Doppelstunde wird mir auf jeden Fall lange in Erinnerung bleiben.“
Maja Sturm