Am 18. November 2024 besuchte Thomas Raufeisen den elften Jahrgang des Ernst-Moritz-Arndt-
Gymnasiums. Der Zeitzeuge einer filmreifen Geschichte berichtete uns von seinen Eindrücken und
Erfahrungen, die er nach einer Verschleppung in die DDR machen musste – eine mehrjährige
Inhaftierung inbegriffen.
Thomas Raufeisens Geschichte begann in Hannover, das in der damaligen BRD liegt. Hier führte er
ein unauffälliges Leben zwischen Schule, Familie, Freunden und Hobbies – geprägt vom Zeitgeist der
1970er Jahre. Doch eines Abends, Thomas Raufeisen war 16 Jahre alt, brach der Vater unvermittelt
mit der gesamten Familie in die DDR auf. Unter dem Vorwand, einen im Sterben liegenden
Verwandten an der Ostsee zu besuchen, erreichten die Raufeisens in der Nacht das östliche Umland
Berlins. Dort offenbarte sich der eigentliche Grund der überstürzten Abreise: die Tätigkeit des Vaters
als Werksspion für die Stasi war aufgeflogen, und nun musste die gesamte Familie, die Kinder
wussten nichts von diesen Verbindungen, von einem Tag auf den anderen in einem fremden Land
neu anfangen, stets begleitet von Aufpassern der Stasi. Ohne Freunde, ohne das vertraute Umfeld,
ohne die Möglichkeit, zurückkehren zu können. Inmitten eines Staates, dessen repressiven und
paranoiden Charakter die Familie schnell zu spüren bekam, obgleich der Vater nach jahrzehntelanger
erfolgreicher Agententätigkeit im westlichen „Feindesland“ in der DDR offiziell als „Held“ galt.
Thomas Raufeisen wurde auf ein elitäres, vorwiegend von Kindern hoher Parteikader besuchtes
Gymnasium geschickt und zeigte sich schockiert über den dortigen Schulalltag, der entgegen seiner
Erwartungen hinsichtlich eines selbst ernannten „Friedensstaates“ sehr militärisch geprägt, autoritär
und altmodisch war. Um dies zu verdeutlichen, brachte er eine entschärfte Handgranate mit, die
damals im Sportunterricht als Wurfgerät benutzt wurde. Es war sehr interessant, diesen direkten
Vergleich gegenüber unserem Schulleben von heute zu hören.
Doch der jugendliche Thomas Raufeisen hielt die Verlogenheit eines „von oben“ diktierten
Unterrichts sowie das Sprechen mit „doppelter Zunge“ – die Botschaften und Deutungen waren im
sozialistischen Sinne vorgegeben und wurden nur heimlich nach dem Unterricht in Frage gestellt –
nicht lange aus, sodass er vorübergehend in einen „VEB“ („Volkseigener Betrieb“) zur Ausbildung als
KFZ-Mechaniker wechselte. Als auch der Vater – als „Westler“ über Jahrzehnte überzeugter
Kommunist – nach nur wenigen Monaten im „real existierenden Sozialismus“ aus seinem Idealismus
erwachte und eine schnelle Wandlung zum Gegner des Systems durchmachte, plante die Familie die
Flucht zurück nach Hannover. Ein schwieriges und langwieriges Unterfangen, da die Überwachung
eng war und man nicht wusste, wem man vertrauen kann. Schließlich der Versuch über Ungarn, die
dortige amerikanische Botschaft und die CIA – unter der Bedingung, dass der Vater sein Wissen über
die Agententätigkeiten der DDR preisgibt.
Doch der Plan flog auf und die Familie wurde festgenommen, zunächst über viele Monate in
Untersuchungshaft im Stasigefängnis Hohenschönhausen sitzend. Nach fast einem Jahr wurden die
Raufeisens zu Haftstrafen verurteilt, der 18-jährige Thomas zu drei Jahren, die Mutter zu sieben
Jahren, der Vater sogar für sein restliches Leben lang. Thomas Raufeisen berichtet in diesem
Zusammenhang von der Einsamkeit in der Haft, von Bedingungen, die darauf ausgelegt sind, einen
Menschen zu brechen, und von vielen ungewissen Momenten – ausgehend von der sich immer
wieder stellenden Frage, ob er jemals wieder aus dem Gefängnis herauskäme (der Vater verstarb
während der Haft in der DDR unter bis heute nicht geklärten Umständen). Letztlich wurde Thomas
Raufeisen aber am Ende seiner Haftstrafe entlassen und konnte – auf sich alleine gestellt in einem
System, das ihn wegen „Fluchtversuches“ zum Feind erklärt hatte – nach vielen weiteren bangen
Monaten in die BRD ausreisen.
Durch Fotos und Ausschnitte aus dem selbst verfassten Buch ,,Ich wurde in die DDR entführt. Von
meinem Vater. Er war Spion.‘‘ war die Präsentation anschaulich und spannend gestaltet. Es war eine
interessante Erfahrung, die Eindrücke eines Zeitzeugen berichtet zu bekommen, und auch eine gute
Gelegenheit, um Fragen zu stellen. Fragen, die besonders auf das Schulleben oder persönliche
Eindrücke zielten. Abschließend hat Herr Raufeisen an uns appelliert, aus der Vergangenheit zu
lernen, um in der Zukunft weiterhin in Freiheit leben zu können. Denn Freiheit ist nicht
selbstverständlich und gerade in der heutigen Gegenwart mehren sich die Stimmen, die unser
freiheitliches System ablehnen, Menschen zu Feinden erklären und nach autoritärem Durchgreifen
rufen.
Der Besuch von Herrn Raufeisen – und damit eine andere Form des Unterrichts, ein direktes Erfahren von erlebter Geschichte – wurde ermöglicht durch unseren Förderverein. Wir möchten uns ganz herzlich bedanken für diese tolle Unterstützung.
Marisa Westerheide de Sousa, Charlotte Berelsmann und Wiebke Schwafert (11c)