„Versöhnung ist möglich, immer und überall“ – Frau Professor Rosenberg-Band am EMA

In Argentinien geboren als Tochter deutscher Juden, die angesichts der Gefahr des eigenen Lebens aus Berlin, ihrem Lebensmittelpunkt, vor der NS-Diktatur flüchten mussten. Aufgewachsen im Ringen um die eigene Identität, stets begleitet von den Fragen nach Herkunft, nach Wegen des Schicksals, nach dem Warum. Im Wissen um die vielen Opfer, die der Holocaust auch ihrer Familie abverlangte – und doch – über die genauen Ursachen und Umstände – im Ungewissen angesichts der sorgenvoll schweigenden Eltern. Zerrissen zwischen den Welten. Zerrissen in der Zeit.

Frau Rosenberg-Band, Jahrgang 1951, hat den Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg nicht mehr aus eigener und direkter Anschauung erfahren. Ein Schatten, ein Nachhallen, eine Leerstelle prägten aber auch das Leben der Nachgeborenen. Daher das Studium der Geschichtswissenschaft, die Arbeit als Historikerin. Daher das intensive Suchen nach Antworten aus vergangener und verbliebener Zeit. Daher, irgendwann, ein zufälliges Treffen mit Emilie Schindler. Und dann: das Schließen eines Kreises, ein existentieller Sinn, der sich plötzlich offenbart, eine Ankunft. Der Beginn einer seelentiefen Freundschaft für das Leben.

Denn es war, so Frau Rosenberg-Band anlässlich ihres Besuchs am EMA in einem einleitenden Vortrag vor den drei Leistungskursen Geschichte der Q2, als würde sich etwas verbinden, als würde im Moment der Begegnung eine Brücke wachsen zwischen zwei eigentlich unabwendbar getrennten Welten. Eine Versöhnung dessen, was einst eins war, im einseitigen Hass zerfiel und nun wieder eins wird. Eins wird, um in die Zukunft zu weisen. Eins wird, um von der Stärke des Lebens zu erzählen und die daraus wirkende Kraft der Heilung im Bewusstsein der Nachwelt zu bewahren. Wie ist das zu verstehen? Eine Tochter deutscher Juden trifft Jahrzehnte später auf eine Deutsche aus den fernen und doch so folgenschweren Untiefen des Nationalsozialismus. Allerdings auf eine Deutsche, die ihr Leben dafür einsetzte, Leben zu retten, nicht Leben zu vernichten. Weil sie, Emilie Schindler, allzeit und unter allen Bedingungen bereit war, das Menschliche im Gegenüber zu erblicken. Das, was uns einig ist, uns zueinander führt, und nicht die Zerrbilder, die wieder und wieder gezeichnet werden, um in den Abgründen von Spaltung, Hass und Vernichtung zu versinken.

Emilie Schindler lebte mit der Courage, die es für das Menschsein braucht und die nun – dank der unermüdlichen Aktivitäten von Frau Rosenberg-Band über große Widerstände hinweg – als Sinnbild in unserem kollektiven Gedächtnis überdauern kann. Wenn wir denn bereit sind, diese Chance anzunehmen.

Das Motiv der „Courage“ leitete demnach auch die weiteren Schritte der Projektarbeit über Leben und Rezeption Emilie Schindlers ein. „Courage“, die unbedingt abzugrenzen sei von Solidarität, bedeute sie doch, mit gravierenden Einschränkungen für das eigene Leben rechnen zu müssen und dem eigenen Handeln, etwa scheinheiligen Simplifizierungen oder selbstbezogenen Bequemlichkeiten gegenüber, stets aufmerksam zu begegnen. „Courage“ heißt Verantwortung zu übernehmen – ungeachtet möglicher Konsequenzen. Und Anlässe für Reflexionen über Courage ergeben sich aus der Biographie Emilie Schindlers genug. Die Versorgung jüdischer Zwangsarbeiter in Krakau. Der Einsatz des eigenen Vermögens. Der Aufbau des KZ-Außenlagers Brünnlitz zur Rettung der für die Schindlers arbeitenden Juden. Die Befreiung von knapp hundert dem Tode preisgegebener Juden aus einem bewachten Zug. Das Pflegen der Kranken und Versehrten oder das Sammeln von Nahrung im Chaos der letzten Kriegsmonate. Die Tarnung all dessen gegenüber der SS. Später dann, nach der Flucht in den Westen, die Unterstützung der Kriegsverbrecherprozesse. Morddrohungen, die daraus folgten und ein Übersiedeln gen Argentinien erzwangen. Ein Absturz in große Armut für Jahrzehnte – von der Allgemeinheit vergessen. Die vielschichtigen und tiefreichenden Missachtungen, die damit einhergingen, ganz besonders im Kontext des Films „Schindlers Liste“. Und dennoch: Ein ungebrochener Lebenswille bis ins hohe Alter von fast 94 Jahren.

Diesem Jahrhundertleben näherten sich unsere Schüler über eine Untersuchung facettenreicher Quellen und Originaldokumente aus dem Nachlass Emilie Schindlers an. Dabei standen, in Gruppen aufgeteilt, verschiedene Phasen und Lebensbereiche zur Wahl. Zum Beispiel die Fabrik der Schindlers, die notwendige, immer mit größter Gefahr verbundene Zusammenarbeit mit den Behörden, Formen des Widerstands und das Überleben in Konzentrationslagern, aber auch die Rolle als „Frau im Schatten“ hinter dem öffentlichen Ruhm ihres Mannes Oskar Schindler oder die Umstände der Genese von Spielbergs „Schindlers Liste“ (1993) inklusive daraus resultierender Prozesse.

Letzteres hinterlässt als noch immer wenig bekannte Geschichte einer Geschichte über Geschichte ganz besonderen Eindruck. Welch bittere Ironie des Schicksals: Einerseits hält der Film den historischen Sachverhalt der Rettung von mehr als tausend Menschenleben in weltweiter wie nachdringlicher Erinnerung, andererseits klammert Spielberg – trotz Zusammenarbeit im Vorfeld – Emilie Schindlers Funktion bewusst völlig aus. Der Film ignoriert die Ehefrau, ihr Wirken, die Tatsache, dass „Schindlers Liste“ nur zu zweit möglich war und zu begreifen ist. Und nicht nur das: Emilie erhält keine finanzielle Beteiligung an den Einnahmen. Zur Premiere ist sie zwar geladen, wird aber in den Reden nicht vorgestellt. Unbeachtet, am Rande sitzend, möchte die zentrale Zeugin ihrer Zeit gehen, als sie von Überlebenden entdeckt wird. Schnell bildet sich eine große Gruppe um sie. Menschen, die sich bedanken wollen für die Rettung oder Gewährleistung ihres Lebens. Spätes Zusammenfinden – Achtung nach der Missachtung – und somit ein weiterer Kreis, der sich schließt. Szenen, die in einem elementaren Kern vom Leben erzählen. Kaum vorstellbar, welche Emotionen sich in einem solchen Moment miteinander verbinden.

Emilie Schindler war Trägerin einer für lange Zeit verborgenen Geschichte. Sie wurde „entdeckt“, bewahrt und weitergegeben von Frau Rosenberg-Band. Nun ist es an uns, sich ihrer zu erinnern und sie als aktiven Teil unserer Gegenwart anzunehmen. Ein Mensch, der nicht weggeschaut hat. Ein Mensch, der nicht den für sich bequemen, leichten Weg gesucht hat. Ein Mensch, der sich nicht hat beeindrucken lassen von den Fassaden der Macht, der Uniformen Ränge, des Hasses Pose fatales Spiel. Nein, uns begegnet in Emilie Schindler ein Mensch, der gehandelt hat; für andere Menschen und unter akuter Gefährdung des eigenen Lebens. Courage als Lebenssinn. Das ist das, was bleibt und den aktuell so virulenten, ja multiplen Angriffen auf unsere demokratische Identität entgegen-wirken kann – gleichbedeutend mit der Herausforderung für jeden einzelnen von uns, im Gegenüber nicht das Trennende, Gefährdende, politisch oder moralisch Unliebsame zu sehen, sondern immer das Einende, den Menschen in ihm, anzuerkennen. In diesem Sinne sei noch einmal Frau Rosenberg-Band zitiert: „Versöhnung ist möglich. Immer und überall.“

Ein besonderer Dank gilt abschließend der Konrad-Adenauer-Stiftung, die den nachhaltig inspirierenden Besuch von Frau Professor Rosenberg-Band am EMA ermöglicht, organisiert und begleitet hat.

Für die Fachschaft Geschichte: Nils Liebau

Vorheriger Beitrag
EMA-Mottotage
Nächster Beitrag
7b macht 2. Platz beim Wettbewerb „1% mehr Mut als Angst!“