1987: 120 Jahre

 

Festschrift 120 Jahre EMA

 

Vorwort von OStD Werner Schmidt

Seit der Hundertjahrfeier unseres Gymnasiums sind erst zwanzig Jahre vergangen, nur ein Sechstel seiner ganzen Lebenszeit. Und doch hat diese kurze Zeitspanne der Schule tiefgreifende Veränderungen gebracht. Die allgemeinen Reformen der siebziger Jahre sind durch einen besonderen Wechsel verstärkt: Das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium verließ im Sommer 1980 sein historisches, noch 1970 wesentlich erweitertes Gebäude an der Lotter Straße und befindet sich seither im Schulzentrum Sebastopol* an der Knollstraße. Der Wunsch des schulfachlichen Dezernenten vom 28. Oktober 1967, es möge „eine stetige und ruhige Entwicklung” nehmen, sollte sich nur zu einem Teil erfüllen.
Bedeutete 1972 die Umwandlung des dritten Osnabrücker Jungengymnasiums in eine Koedukationsschule noch keinen allzu tiefen Einschnitt, weil es von Mädchen schon seit der Einführung von Russisch als Pflichtfremdsprache im Jahre 1965 besucht wurde, so war 1975 die Abtrennung der 5. und 6. Klassen mit der Errichtung von Orientierungsstufen im gesamten Stadtgebiet umso schärfer. Bereits ein Jahr später begann 1976 in der 11. Klasse die Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe mit der Auflösung des Klassenverbandes, dem Aufbau des Kurssystems und der Individualisierung der Abiturprüfung. Die eineinhalbjährige Zeit zwischen dem Eintritt von Oberstudiendirektor Heinz Kähler in den Ruhestand am 31. Januar 1976 und der Beauftragung seines Nachfolgers am 15. Juni 1977 stellte unser Gymnasium auf die härteste Probe. Im August 1976 beschloß der Rat der Stadt Osnabrück die Verlagerung der Schule in das Schulzentrum Sebastopol. Als das Land Niedersachsen 1979 die Eltern von Schülerbeförderungskosten bis zum Ende der 10. Klasse entlastete, trat neue Unsicherheit ein: Würde nicht die Mehrheit der in den nordöstlichen Stadtteilen wohnenden Schülerschaft dem Besuch des nun nahe gebrachten Gymnasiums die kostenlose Busfahrt in die Innenstadt vorziehen?
Schon in der Planungsphase des Schulzentrums Sebastopol entwickelte sich eine pragmatische Bereitschaft des Lehrerkollegiums, mit den Lehrkräften der anderen Schulen am neuen Standort vertrauensvoll, eng und schülerorientiert zusammenzuarbeiten. In kürzester Zeit bildete sich nach dem Umzug ein Klima, das es den fünf Schulen** in diesem Schulzentrum erlaubt, unter Wahrung der pädagogischen und organisatorischen Eigenständigkeit der einzelnen Schule im selben gut ausgestatteten, von Helle, Licht und Offenheit geprägten Gebäude gemeinsam zu leben und zu arbeiten. Gemeinsam ist uns auch der Wunsch, daß unsere Schülerinnen und Schüler hier gern zur Schule gehen. Ihre durch die Jahre erfreulich aktive Schülervertretung beweist fast täglich konstruktive Kritik und viel Initiative.
Allen, die daran mitgewirkt haben, daß das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium die Verlagerung nicht nur unbeschädigt überstanden hat, sondern die neue Lage sogar zu moderner Weiterführung seiner bewährten Tradition nutzen konnte, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Es sind so viele, daß Namen nicht aufgeführt werden können. Besonderer Dank aber gebührt der Elternschaft und ihren gewählten Vertretern sowie unserem mächtigsten Verbündeten, dem etwa fünfhundert Mitglieder umfassenden Verein der Förderer unseres Gymnasiums.
Als bei der Begrüßung der neuen 7. Klassen am 6. August dieses Jahres der 13570. Schüler aufgerufen werden konnte, erhielten die neuen Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, die Eintragung des Schülers mit der Nr. 1 aus dem Jahre 1867 im ersten Schülerhauptverzeichnis, einem mächtigen Folianten, zu sehen; manche vermochten einzelne Angaben in der kalligraphischen Sütterlinschrift sogar zu entziffern. Künstler wie Felix Nußbaum und Heinrich Aßmann haben unser Gymnasium besucht, Minister und Präsidenten sind aus ihm hervorgegangen, im ganzen Lande und über seine Grenzen hinaus erinnern sich viele an ihre Schulzeit bei uns.
Das wieder erwachte Interesse an der Geschichte ermutigt uns, den 120. Geburtstag unseres Gymnasiums festlich zu begehen. Die kleine Festschrift möchte ein paar Ausschnitte aus der Gegenwart zeigen und mit ihnen auf morgen hinweisen, auf eine offene Zukunft.

Werner Schmidt

* Das Schulzentrum wurde 2007 umbenannt in “Schulzentrum Sonnenhügel”

** die fünf Schulen waren damals: Wittekind-Realschule (seit 1975), seit 1976 Orientierungsstufe Sebastopol (später umbenannt in “Sophie-Scholl-Orientierungsstufe”, 2004 aufgelöst), Hauptschule Sebastopol (später umbenannt in “Felix-Nußbaum-Schule”), Sonderschule für Körperbehinderte (später umbenannt in “Anne-Frank-Schule”), seit 1980 Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium

 


 

EMA – auch für Schülerinnen!!!

120jähriges Bestehen feiert das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium – mensch erfreut sich an seiner langen Tradition und nutzt den Anlaß, um sich in diesem Herbst als zeitgemäßes, aufgeschlossenes Gymnasium der Öffentlichkeit vorzustellen. 120 Jahre existiert diese Schule, aber ganze 98 Jahre davon war es ausschließlich Jungen erlaubt, dort zu lernen. 1965 durften die ersten vier Schülerinnen das EMA besuchen. Wie sie den Schulalltag erlebten, von Schülern und Lehrer/inne/n behandelt wurden – als die sensationelle Neuheit der Schule oder vielleicht auch als Verirrte im Bildungssystem?
Mit 131/2 Jahren wechselte Annelotte W.* vom „Mädchengymnasium am Hegertorwall” in die Klasse sieben des EMA, gemeinsam mit einer Klassenkameradin und zwei Schülerinnen aus ihrer bisherigen Parallelklasse, denn auch sie wollten Russisch als zweite Fremdsprache wählen:
„In Übereinstimmung mit meinen Eltern war es mein Wunsch, eine interessante Sprache zu lernen. Angst, dort nur eine kleine Minderheit zwischen den Jungen zu sein, hatte ich nicht, ich war neugierig auf die neue Situation; mit 13 Jahren habe ich mir auch noch keine Gedanken über Vorurteile gemacht.
Es gab damals am EMA vorwiegend Lehrer, nur in Russisch wurde ich von einer Frau unterrichtet – von Frau Hoppe. Als unsere Klassenlehrerin hatte sie ein sehr freundschaftliches, fast mütterliches Verhältnis zu der gesamten Klasse, sowohl zu den Jungen als auch zu uns Mädchen. Sie war auch die einzige, die uns bei Vornamen nannte, während ihre (männlichen) Kollegen uns stets nur mit dem Nachnamen aufriefen und insgesamt distanziert waren und blieben. Vielleicht hätte sich das geändert, wenn schließlich mehr Mädchen das EMA besucht hätten.
Die Mitschüler meiner Klasse verhielten sich natürlich, suchten Kontakt, waren freundlich und versuchten uns (unbewußt) zu integrieren, wie z. B. beim Fußballspielen auf dem Pausenhof. Völlig anders benahmen sich die Jungen aus anderen Klassen. Sie betrachteten uns als „etwas Exotisches”, in den Pausen wurden wir dann richtig beguckt und bestaunt. Ich habe mir sogar einige „interessante Dokumente” aufgehoben, die für sich sprechen: Lustige Erinnerungen sind Liebesbriefe, erste engere Freundschaften mit Jungen – allerdings nicht mit welchen aus der Klasse, sondern nur mit Schülern der Oberstufe. Die Gleichaltrigen oder Jüngeren waren „für so etwas zu blöd”, „schick” war es, von Oberstufenschülern nach Hause gebracht zu werden: „Hoffentlich haben es die Pauker gesehen!” war das Motto, wenn mein Freund mich auf dem Motorrad nach Hause brachte. Probleme gab es allerdings auch; so versuchten Lehrer sich über die Eltern in den Privatbereich einzumischen, etwa: der Schüler X sei nicht der richtige Umgang für mich.
Im Unterricht hörten wir: „Ich habe noch nie Mädchen unterrichtet. ..”; zu dieser Bemerkung ließen sich mindestens drei Lehrer vor uns 15jährigen hinreißen. Mädchen lernen doch schließlich nicht generell anders oder womöglich schlechter als Jungen! Die Überzeugung unseres Physiklehrers: „Nicht einmal das Gerät (Amperemeter) ablesen könnt Ihr! Auf’ne Puddingschule gehört Ihr!”; „Mädchen verstehen nix von Physik- das ist Jungensache! Stricken und kochen sollen Sie!”!!!
Der Erfolg solcher Äußerungen und von solchem Verhalten war, daß Physik während der Mittelstufe zu meinem Angstfach wurde. Im allgemeinen wurden jedoch auch die Schülerinnen ernst genommen, vor allem in der Oberstufe. Nur bei einigen Lehrern merkte man, daß sie irgendwie „lauerten”, wenn sie ein Mädchen drannahmen: „Mal sehen, wie die gelernt hat.” Die Schülerinnen wurden auch nie zuerst drangenommen! Desweiteren konnten wir nicht an allen Unterrichtsveranstaltungen teilnehmen. Der Sport fand für uns Mädchen im „Mädchengymnasium am Hegertorwall” statt, sofern das stundenplanmäßig möglich war. Als das Mädchengymnasium dann in die Wüste zog, hatten wir keinen Sportunterricht mehr. Ich habe dann mal freiwillig am Schwimmunterricht bei Herrn Gehre teilgenommen – er hatte nichts dagegen. Eine Zensur bekam ich nicht. Eine weitere Veränderung mit dem Schulwechsel war, daß wir statt Handarbeiten Werkunterricht bekamen, was mir auch mehr Spaß machte. Die 60er Jahre waren die Zeit der Mini-Mode. Meine Eltern hatten nichts dagegen, aber bei einigen Lehrern erzeugten meine Mini-Röckchen Verachtung: „Eines Tages wirst Du noch ohne Rock zur Schule kommen”. . . Aber warum sollte ich mich anders als andere Mädchen in meinem Alter verhalten, nur weil ich auf einer Jungenschule war?! Ich versuchte, mich zu behaupten; wollte das tragen, was andere Mädchen auch trugen, was ich wollte.
Etwas wurde ich natürlich in diesen Konflikt hineingedrängt, ich war ein Mädchen, wollte auch gut aussehen, doch damit wurde ich als „sexy girl” abgestempelt, und viele Lehrer vertraten noch die Einstellung: „Lange Haare – kurzer Verstand” oder neu: „Kurzer Rock – kurzer Verstand”. Doch ich wiederum wollte es diesen Lehrer schon zeigen, und letztendlich mußten doch sogar sie einsehen, daß der Verstand weder an Haar- noch an Rocklänge meßbar ist. Dieser „Kampf” war mir damals als ca. 16jährige sehr wohl bewußt.
Ob ich mir wie eine Vorreiterin, emanzipiert vorkam? Das Schlagwort „Emanzipation” gab es damals noch gar nicht, über Rollenverhalten wurde auch nur sehr wenig direkt nachgedacht. Das setzte erst später, in den 70er Jahren ein. Ich war vielleicht „unbewußt emanzipiert”. Auch besuchte ich die Jungenschule nicht, um „Emanzipation durchzusetzen”, sondern, um das Abitur zu machen, Russisch zu lernen.
Nach einem Mädchengymnasium sehnte ich mich während der ganzen Zeit nicht zurück. Dort paßte mir die Cliquenwirtschaft unter den Mädchen nicht. Cliquen richteten sich oft nach Gehaltsklassen, nach Berufen (letzteres im Klassenbuch vermerkt) der Väter. Dies wurde z. T. von den Lehrerinnen des Mädchengymnasiums verstärkt, da sie die Sitzordnung der Schülerinnen bestimmten. Das war auf dem EMA nicht so. Außerdem gab es am Mädchengymnasium u. a. viele, sehr alte (echt verschrobene) Lehrerinnen, mit denen man keine natürlichen Gespräche führen konnte. Wie anders war damals Frau Hoppe, jung und dynamisch! Eine Mädchenschule brachte auch Probleme für die Schülerinnen mit sich, und selbst wenn sie ein „Schonraum” wäre, wäre genau das auch nicht gut.
Es ist wirklich schwer zu sagen, in wie weit mein Leben nach der Schulzeit immer noch durch den Besuch einer Jungenschule beeinflußt wurde, da ich ja die Alternative nicht kenne. Ich meine aber schon, da ich früher ein eher ruhiges, schüchternes Mädchen gewesen bin, daß ich gelernt habe, mich zu behaupten. Sicherlich hat der Umgang mit (den uns Schülerinnen gegenüber) unsicheren Lehrern mein Selbstbewußtsein gestärkt. Bestimmt ist auch mein Durchsetzungsvermögen gestärkt worden, weil ich mir sagte, jetzt erst recht, jetzt provozierst du noch mehr.
Später in der Studienzeit machte es mir nichts aus, vorwiegend mit (männlichen) Studenten zusammenzuarbeiten. Es gab damals sehr wohl reine Studentinnen-Arbeitsgruppen.
Ich hatte auch keine Scheu vor alten Professoren, schlimmer als die alten Lehrer vom EMA konnten die nicht sein – dachte ich … doch es gab an der UNI noch „schlimmere!!!” –
Annelotte W. steht natürlich nicht repräsentativ für alle Mädchen am EMA zu ihrer Schulzeit. Die Erfahrungen der einzelnen Schülerinnen sind im Grunde zwar sehr ähnlich, doch sie haben sich jeweils anders ausgewirkt. Eine andere Schülerin, Karin W.,* gelangt zu folgender These: „Im nachhinein meine ich, daß diese Ausnahmesituation an einer Jungenschule die Mädchen in die Extreme getrieben hat: die einen zu einer vollständigen Anpassung an die Jungen sowohl im Äußeren als auch im Verhalten, so daß ich z. B. stolz war, wenn ein neuer Lehrer mich nicht aus der Klasse herausfinden konnte; die anderen gaben sich in jeder Hinsicht äußerst weiblich.” -In der Schule hat sich die Situation bis heute recht weitgehend „normalisiert”, „etwas Exotisches” sind Schülerinnen dort nicht mehr, und eine „besondere Behandlung” wird ihnen zum Glück nur noch von wenigen Lehrern zugemutet.
Doch die Existenz von Kolleginnen (in vielen Berufen) und weiblichen Vorgesetzten (in noch mehr Berufen) ist noch nicht etwas Selbstverständliches, sondern nahezu unbekannt bzw. grundlos unmöglich. Frauen gelten in zahlreichen Positionen einfach als „etwas Exotisches”, „was” dementsprechend behandelt oder von vornherein verhindert wird.

Sabine Tusche

* Die Nachnamen wurden abgekürzt. Im Original sind sie ausgeschrieben.

Quelle: Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium (Hrsg.), 120 Jahre EMA 1867-1987. Osnabrück 1987, S. 27ff.

 


 

Die konfessionelle Zusammensetzung der Schülerschaft seit Gründung der Schule

Untersucht man die konfessionelle Zusammensetzung der Schülerschaft seit Gründung der Schule, so fällt  das Übergewicht protestantischer Schüler auf. Der Anteil katholischer Schüler bewegte sich zwischen 5 und 11 %, der der jüdischen zwischen knapp 2 und etwa 6 %. Auch “Dissidenten”, die keiner Religionsgemeinschaft ange­hörten, wurden aufgeführt.

Diese Angaben zur Konfession der Schüler erscheinen zuletzt in dem 1932 verfassten Jahresbericht 1931/32 – der 1933 verfasste Jahresbericht und alle folgenden enthalten keine solchen Angaben mehr.

 

Schuljahr 1873/74 74/75 75/76 76/77 77/78 78/79
zusammen 418 417 392 385 378 374
Kath. 41 42 46 44 40 37
Ev. 393 361 338 328 339 316
Jüd. 11 14 8 12 15 21
Dissidenten ? ? ? ? ? ?
Ausländer 32 34 33 33 20 18
Auswärtige 115 121 131 131 146 144

 

Schuljahr 1899 /1900 00/01 01/02
zusammen 359 370 362
Kath. 31 33 34
Ev. 316 333 324
Jüd. 10 4 4
Dissidenten 2 0 0
Ausländer ? 6 6
Auswärtige 95 73 80

 

Schuljahr 1924/25 25/26 26/27 27/28 28/29 29/30 31/32
zusammen 232 171 217 213 239 230 209
Kath. 11 11 21 21 23 22 16
Ev. 218 155 188 183 211 205 187
Jüd. 3 4 6 5 5 7 5
Dissidenten 0 1 2 2 1 1 0
Ausländer 0 0 0 0 0 1 2
Auswärtige (Pen)* 17 8 7 7 12 12 12
Auswärtige (Fahr)* 54 55 66 68 72 84 75

* Auswärtige Schüler wurden unterschieden nach “Pen”, also solchen, die in einer Privatpension wohnten, meist in einem möblierten Zimmer oder bei Verwandten, und solchen, die zu Hause wohnten und zur Schule in die Stadt fuhren und dann wieder nach Hause (“Fahr”=Fahrschüler).

(Schülerarbeit während der Projektwoche im Jubiläumsjahr 1987)