1. Der Unterricht nach Wiederbeginn der Schule 1946

Der Unterricht nach Wiederbeginn der Schule 1946

Dr. jur. HEINRICH BOGE, Präsident des Bundeskriminalamtes a.D. hat 1949 Abitur gemacht. Er schreibt:

Ein Dank an unsere Lehrer
Unsere Lehrer hatten es nicht leicht mit uns nach Wiederbeginn der Schule. Noch waren es die alten Lehrer, die überwiegend im Pensionsalter waren. Zudem fehlte es dem einen an pädagogischem Geschick, andere hatten nicht die erforderliche Durchsetzungskraft. Wir waren zum Teil regelrechte Rüpel und durch die schrecklichen Kriegserlebnisse verroht. Die „Späße“, die wir uns erlaubten, überschritten die üblichen Streiche bei weitem. Das änderte sich, als nach und nach jüngere Lehrer, die Soldaten gewesen waren, an unsere Schule kamen.
Zu diesen jüngeren Lehrern gehörte u.a. Studienrat Otto Papenhausen. Er gab zunächst neben Sport, Geschichte – oder besser Gegenwartskunde. Vor ihm saßen Jungen im Alter von 15 und 16 Jahren, aber auch einige, die bereits Soldaten gewesen waren. Wir waren als Pimpfe und Hitlerjungen durch das NS-Regime geprägt, hatten die Kriegserfolge und den Niedergang erlebt.
In unserer Klasse bildeten sich immer wieder zwei Fronten. Die eine, das waren die „Unverbesserlichen“ – zu der auch ich gehörte – die einfach nicht glauben wollten, dass sie in einem verbrecherischen System aufgewachsen waren. Die andere Gruppe war offensichtlich durch das Elternhaus oder Umfeld über Zustände in Kenntnis gesetzt worden, die die Realität im NS-Staat widerspiegelten.
Zwischen beiden „Fraktionen“ kam es immer wieder zu harten Wortgefechten. Wenn die Argumente ausgegangen waren, schaltete sich „Otto“ ein. Er fasste zusammen, klärte uns auf und zeichnete mit seinen Worten das Bild von der NS-Zeit mit all’ den Verbrechen und Grausamkeiten. Ich selbst konnte es, oder wollte es nicht glauben.
Über den Sport hatte ich zu StR Papenhausen ein engeres Verhältnis. Er war zeitweilig Übungsleiter in unserem Sportverein, dem OTV. Er nahm mich bei einem Training beiseite und empfahl mir die Lektüre eines Buches; ich weiß heute nicht mehr den Titel und Verfasser. Es könnte von Eugen Kogon „Der SS-Staat“ gewesen sein.
Auch kann ich heute nicht mehr sagen, wer mir das Buch gab. Ich war erschüttert. Der Mann konnte sich das, was er beschrieben hatte, nicht alles aus den „Fingern gesogen“ haben. Die Millionen an bestialischen Morden an Frauen, Kindern und Greise in den Konzentrationslagern, die Folterungen in den SS-Kellern, der Hass auf die Juden oder auch die perfekte Bespitzelung.
Ich selbst war verzweifelt, ernüchtert und dann voller Wut auf mich selbst, auf die ganze Welt. In mir entstand eine Leere; jetzt glaubte ich an nichts mehr. Die Wirkung war nachhaltig. In meinem Berufsleben als Polizeibeamter wollte ich später nichts mehr mit Nachrichtendienst, Verfassungsschutz oder Staatsschutz zu tun haben. Wobei es absurd ist, eine Verbindung mit den Organisationen im NS-Staat herzustellen.
Studienrat Papenhausen bin ich heute noch dankbar. Dankbar bin ich aber auch anderen Lehrern, die auf uns positiv eingewirkt haben.

Quelle: ema-report 2005

 

 

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