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It’s Elderberry Wine!

Lachen ist gesund. Alkohol nicht. Jedenfalls nicht mit der Beimischung, die er in Joseph Kesselrings Kriminalkomödie „Arsenic and Old Lace“ enthält. Da wirkt die kleinste Dosis tödlich. Wenn man sich beeilt, hat man noch Zeit, „how delicious“ zu sagen. Das war’s dann aber auch schon. Zwölf durch diesen Drink dahingeraffte ältere Herren sind ebensoviel Gründe, die für eine Aufführung sprechen. Aus diesen oder gänzlich anderen Überlegungen heraus entschloß sich Dr. Walter Woll, Leiter der englischen Theatergruppe EMAnation, es einmal mit dem Stück zu versuchen. Die verfilmte Version mit Cary Grant war bekannt. Und man konnte sich gut amüsieren, selbst wenn man nicht begriff, was genau da auf der Bühne vor sich ging. Das erste Lesen war vielversprechend. Wie, was ist denn das, pneumonia? Nju-mounijah. Wa‘? Oder einfach wie amonia mit einem n davor: ne-mounijah. Nömounihah! …So in der Art. Ist das gefährlich? Nein, das ist Lungenentzündung. Übrigens stellte sich schnell heraus, daß es manchmal gar nicht komisch ist, komisch zu sein. Die Probenzeit schleppte sich endlos hin. Man war schon in Feiertagsstimmung, hatte sich ein gemeinsamer Termin vereinbaren lassen. Oh, ich komm aber später! Ich muß um halb gehen, ist das o.k.? Eigentlich kann ich überhaupt nicht. Naja, ich werd’s versuchen. Wieso Proben? Heute? Unmöglich! Also heute ist unmöglich, echt jetzt. Hatte jemand ein paar Zeilen gelernt, kam es aufgrund der allgemeinen Begeisterung beinahe zu tumultartigen Szenen. Now darling… cue! Cue! Tut mir leid, ich hab meinen Text vergessen. Die Frage, wie etwas zu vergessen ist, was man nie gewußt hat, wurde nie geklärt. Daß man auf fünfzig Quadratmetern erstklassig seine Orientierung verlieren kann, bewiesen alle Darsteller. Herr Woll legte fest, der Keller sei da, die Haustür da, die Küche da und die Treppe auch da. Wo noch die Kellertreppe wäre? Da. Ach, auch da? Nein, nicht da, da! Hier also? Wenn man so wolle. Je näher die Premiere kam, desto irrwitziger wirkte der Wollsche Daswirdschonoptimismus. Unser Glück war, daß sich dieses reichlich abgedroschene Klischee von der schlechten Generalprobe und so bewahrheitete. Beim Aufbauen des Bühnenbildes in der Anne-Frank-Schule zeigten Ines Campen und ich uns als krankhafte Besserwisser, eine unserer, zumindest meiner, Lieblingsrollen: Man muß nicht mal Schauspielen! Man brauche unbedingt ein Sofa, den Stuhl weiter nach links, man solle sich wohl beim Treppensteigen den Hals brechen oder wenigstens kopfüber ins Mischpult stürzen, bitte schön. Man kann nur spekulieren, ob diese Situation die Ursache für Herrn Wolls teilweise etwas wüste Textwiedergabe war. Dr. Einstein (Inga Volmer), Schönheitschirurg deutscher Herkunft, wurde jedenfalls weit häufiger als vorgesehen von seinem Gefährten Jonathan mit dem Satz: „Pull yourself together, doctor!“ konfrontiert. Ansonsten schienen beide Gefallen an ihren Rollen zu finden. Ekligsein macht eben immer noch am meisten Spaß. Die beiden alten Tanten (Ines Campen und ich) müssen recht überzeugend gewirkt haben. Oh, Miss Brewster, Ihre Osteoporose hat sich gebessert, wie ich sehe. Haha. Angetan war man auch von unseren Perücken aus der Dose. Wir weniger. Herr Brammer, der ebenfalls mit dem Weiß-mit-Glitter überfallen wurde, mußte sich erst einmal einen provisorischen Atemschutz aus einem Stofftaschentuch basteln. Jason Pashko, der als Neffe Mortimer mit durchaus eigenwilligen Versionen seines Scripts einige seiner Kollegen in arge Bedrängnis brachte, war allerdings so prima verzweifelt, daß man zu verzeihen geneigt war. Sein Lieblingssatz „We can just improvise, anyway“ hätte uns sowieso warnen müssen. Melanie Richter, die Mortimers Verlobte spielte, hatte eine entzückende Art, durch ein beiläufiges „Ich weiß ohnehin nicht, was ich sagen muß“ kurz vor der Aufführung Teile des Ensembles in eine mittelgroße Krise zu stürzen, während Hendrik Riehemann (Teddy) vollkommen gelassen mit Safarihelm herumlief und köstliche blöde Witzchen erzählte. Den Ausgleich zu all diesen verkorksten Gestalten bildeten Helmut Brammer als Reverend Dr. Harper und Hans-Jürgen Tappe als Superintendent Witherspoon. Zwei Geistliche also. Diese Tatsache machte sich aber für einen von beiden nicht unbedingt bezahlt. Witherspoon verschied am Ende des dritten Aktes. An Alkoholvergiftung, sozusagen. Polizisten, neben Leichen die im Stück am stärksten vertretene Volksgruppe, wurden verkörpert von mehreren Schülerinnen und Schülern:
– Olga Stoletni, die als Officer Brophy die interessante Aufgabe hatte, Jonathan – Herrn Woll – eins mit dem Gummiknüppel überzubraten (teilweise wurde diese Rolle gespielt von llka-„Huch-meine-Mütze“-Waßmann),
– von Kotaro Shino als Officer Yamamoto (man hatte entschieden, daß der Name aus dem Original – „Klein“ – irgendwie nicht japanisch genug klang),
– von Karen Assenmacher als – zum Glück verhindertem – Dramatiker O’Hara, dessen endlose Tiraden man nur stockbesoffen erträgt,
– und von Christian Ambros als Lieutenant Rooney, dessen knüddeliger Trenchcoat eine solche, nicht mehr steigerungsfähige Häßlichkeit darstellte, daß man auch angesichts seiner stoffeligen Untergebenen kein Mitleid mit ihm aufzubringen vermochte. Bianca Lüttschwager schließlich spielte ein Beinahe-Opfer der Tantchen, den alten verbitterten Gibbs, der sich nun aufgrund Mortimers allzu unsanften Rausschmisses aus dem Brewsterschen Wohnzimmer den Mantel reinigen lassen muß, da er nicht Zeit hatte, seinen Holunderbeerwein abzustellen. Dieser landete, wie schade, auf Tischtuch, Parkett und Kleidung. Die beiden anderen Vorstellungen konnten mit der Premiere nicht mithalten. Es bleibt nur zu hoffen, daß die Aufführung im Emma-Theater am 20. Juni weniger chaotisch über die Bühne geht. Ansonsten bleiben uns immer noch Melanies Brandblase von Jonathans Zigarre, ein zerbrochenes Silbermesser (Gott weiß, wie das passiert ist) und eine Menge Fliederbeersaftflecken. Aber die lassen sich wohl wieder rauswaschen.

Sybille Klose, 12. Jahrgang

aus: ema-report 1994, S. 32ff.

 

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