1. klingebiel-2006

Klingebiel, Klaus

Fächer: Erdkunde, Biologie, Physik;
unterrichtete von 1972 bis 2006 am EMA; Versetzung in den Ruhestand zum 1. Februar 2006

*28. August 1942      †6. Mai  2013

Lebenslauf:

geb. am 28.8. („Ich und Goethe, aber 1942“) in Hannover;
Studium in Osnabrück (Biologie, Geographie, Physik);
seit 1972 am E.-M.-A.- Gymnasium
Versetzung in den Ruhestand zum 1. Februar 2006

Klaus Klingebiel – ein Nachruf

Orangenhain in Florida; Malaria-Erkrankung; von einer Wasserschlange in den Finger gebissen; Zigarrenraucher; Range-Rover-Fahrer; Jäger; Safari-Anzug; Stewart auf einem Ozeanriesen; BMW Z3; Bärenjagd in Kanada und Safari in Namibia; die Sammlung von Gewehren; zynische und sarkastische Sprüche mit seiner John-Wayne-Synchronstimme mit Hannoveraner Akzent- all das ist vorbei.

Klaus Klingebiel lebt nicht mehr.

Am 28. August („Ich und Goethe“) 1942 in Hannover geboren, gehörte Klaus Klingebiel zu den knorrigen, sehr eigenwilligen Lehrern am EMA. Er hat hier von 1972 bis 2006 Biologie, Erdkunde und Physik unterrichtet, und fast jeder EMAner hat mal bei ihm Unterricht gehabt. Seine direkte Art lag nicht jedem, denn er konnte sehr hart sein, die Stimme wurde dann rasiermesserscharf oder ganz leise, aber jeder wusste sofort, woran er bei ihm war: klare Ansagen waren Klingebiels Sache – wer etwas angestellt hatte, den knöpfte er sich vor, aber dann war die Sache ausgestanden und für immer erledigt.
Eher der einsame Wolf oder der Typus „lone ranger“ saß er im Lehrerzimmer in der „Kuhle“, als da noch eine Sitzecke war. Als Kollegen und als Freund habe ich ihn geschätzt, schräg und eigenwillig, manchmal bockig, dabei absolut zuverlässig – Absprachen gelten eben, Schluss:
Als wir 1988 den Schüleraustausch nach Angers begleitet haben, hatten wir uns für die Metro in Paris, das Umsteige-Nadelöhr zwischen Gare du Nord und Montparnasse, auf folgendes Verfahren geeinigt: Der eine geht als erster in den Waggon, der andere bleibt bis zuletzt, damit kein Schüler allein zurückbleibt. „Schäferhund-Prinzip“ nannte Klingebiel das. Für solche Absprachen genügte ein kurzer Blick oder eine kleine Kopfbewegung. Das lief immer.
Nach seiner Pensionierung heiratete er 2007 seine langjährige Freundin in Las Vegas, Nevada. Die Pläne für eine Ranch in Namibia oder eine Finca in Andalusien gaben sie auf und wanderten 2009 nach Madeira aus, alle Habe in Containern verpackt, portugiesischer Pass in Aussicht.
Nach den Osterferien war er noch einmal im Lehrerzimmer (braune Lederjacke, weißes Hemd, Blue Jeans, klar, so kannte man Klingebiel), und das kommt mir in der Rückschau wie ein Abschiedsbesuch vor.
Zu seinem zweiten Geburtstag – am 26. Juni 1989 hat er einen sehr schweren Autounfall überlebt, das war vor 24 Jahren – habe ich ihm nicht mehr gratulieren können. Und, Klaus, eigentlich hätten wir im Sommer noch ein paar schöne Runden Doppelkopf spielen und im Winter Grünkohl essen wollen.
Seit dem 6. Mai 2013 ist mit allem Schluss.

Helmut Brammer-Willenbrock

Mails ehemaliger Schülerinnen und Schüler:

Viele Mails haben uns erreicht, in denen ehemalige EMAner ihre Betroffenheit und Erschütterung zum Ausdruck bringen; einige davon seien hier zitiert:

…dies tut mir wirklich sehr Leid, denn auch wenn es schon einige Jahre zurück liegt (ich habe 198x am EMA mein Abi gemacht), so trifft mich Ihre Nachricht sehr. Ich behalte Herrn Klingebiel als Mensch mit Ecken und Kanten, sicher aber mit Prinzipien und Individualität in Erinnerung.

Herr Klingebiel zählte immer zu meinen erklärten Lieblingslehrern. Bei ihm hat der Unterricht großen Spaß gemacht und auch eine gemeinsame Klassenfahrt nach Freiburg bleibt unvergessen.

… ja, ich habe auch gute Erinnerungen an ihn, mein Mitgefühl und Beileid.

… ich sehe noch sein Gesicht vor mir und wie er in seinem Auto vorgefahren kam.

… mit Bestürzung lese ich Ihre Mail zum Tod von Herrn Klingebiel. … Ich erinnere mich, dass xyz anlässlich unseres letzten Klassentreffens (na gut, das ist auch schon wieder 2 Jahre her) mit ihm telefoniert hatte und er uns alle noch nach Madeira eingeladen hatte …

Das ist ja sehr schade, einer meiner Lieblingslehrer! Unvergessen die Vorstellung seiner selbst beim ersten Zusammentreffen: „Also Kinners, ich heiße Klingebiel, das kommt von „Klinge“ und „Beil“. Wir können uns gut verstehen, oder mein Name wird wirken.“

herr klingebiel war ein sehr inspirierender lehrer, der seine schüler verstand und mit ihnen auf einem level zurecht kam und kommunizierte, wie kaum ein anderer. er wird mir sehr fehlen.

Er war ein Mensch, der sich förmlich ins Gehirn gebrannt hat.

Ich zitiere ihn von Zeit zu Zeit, habe von diesem Halbgott auch ein paar schöne Erinnerungen. (Wenn es ein Gott nicht schafft, Euch Sauhorde still zu kriegen, wie soll ich als Halbgott das dann schaffen.)

Rede von Dr. Wilfried Pabst anlässlich der Verabschiedung in den Ruhestand, 27. Januar 2006

Lieber Klaus,

WORTE ZUM ABSCHIED

„Abschiedsworte sollten kurz sein – so kurz wie Liebeserklärungen; sonst wirken sie nicht“, meint Theodor Fontane. So hast Du es Dir auch selbst gewünscht, doch das ist heute früh leichter gesagt als getan. –

1942 geboren, am gleichen Tag wie Johann Wolfgang Goethe, hast Du Deine Kindheit und Schulzeit in Hannover verbracht und Dir manches von dort in Sprache und Mentalität bis heute bewahrt. Das klingt fast idyllisch, sollte sich aber von einem Tag auf den nächsten schlagartig ändern. Im Krieg musste die Familie erfahren, wie wenig Rücksicht das Schicksal darauf nimmt, ob jemand ein guter Mensch ist und welche politischen Einsichten er hat. Im Zusammenhang mit dem 2O. Juli 1944 hatte der Vater als Leiter einer Abteilung bei den Continentalwerken in Hannover den SS – Werkschutz festnehmen lassen. Wenige Tage darauf wurden alle daran Beteiligte verhaftet, der Vater in eine Außenstelle des Konzentrationslagers Bergen-Belsen nach Hannover/ Stöcken verbracht, wo er noch vor Ende Juli, mitten im Sommer, an „Lungenentzündung“ verstarb, wie der amtlich ausgestellte Totenschein glauben lassen wollte. Zurück blieb eine mittellose 36- jährige Witwe mit zwei kleinen unmündigen Kindern.

Nach dem Studium mit den Schwerpunkten Biologie und Geographie an der Pädagogischen Hochschule Osnabrück und dem Erwerb einer Zusatzqualifikation für das Lehramt an Realschulen hast Du Deine erste Dienststelle am 1. Juni 1969 in Bramsche angetreten.

Ein Kollege machte Dich bald auf den akuten Lehrermangel in den naturwissenschaftlichen Fächern am Arndt-Gymnasium in Osnabrück aufmerksam und vermittelte eine persönliche Vorstellung beim Schulleiter, der Dich mit der Zusage verabschiedete: „Herr Klingebiel, ich setze alle Hebel in Bewegung, dass Sie zu uns kommen.“

Gegen den erklärten Willen des Schulverwaltungsamtes in Bersenbrück, das Dich in Bramsche behalten wollte, ordnete Dich das MK auf Intervention des Sozialministers zum 1.8.1973 – zunächst einmal für zwei Jahre – an das EMA an der Lotterstraße ab. Es sollten 32 1/2 Jahre daraus werden.

Dort erwarteten Dich am ersten Schultag nach den Sommerferien 34 Schüler einer Klasse 1O als ihren neuen Klassenlehrer. Tags darauf wurde Dir eine Referendarin zur Ausbildung im Fach Erdkunde zugewiesen, noch im Spätsommer die Leitung der Biologiesammlung und einer Klassenfahrt anvertraut.

Auf Weisung des Schulleiters, der selber Fachleiter für Physik gewesen war, unterrichtetest Du bald als 3. Fach Physik, vorübergehend Mathematik in 4 Parallelklassen 1O, dann Sozialkunde, nach dem Schulbrand schließlich auch noch Sport. Regelmäßig wurdest Du als Fach- und Klassenlehrer der unruhigen, leicht aufmüpfigen Jahrgänge 9 und 1O eingesetzt, die Du problem- und geräuschlos geführt und begleitet hast.

Deine pädagogischen Leistungen bewogen den neuen Leiter zu der Zusage, Dich für eine der nächsten frei werdenden Beförderungsstellen vorzuschlagen, wozu es aber nach seinem frühen Ausscheiden nicht mehr kam.

Nach dem Umzug von der Lotterstraße in das Schulzentrum Sebastopol hast Du zwischendurch einen Leistungskurs in Geographie und Grundkurse in Biologie und Geographie ins Abitur geführt, einen Grundkurs Biologie mit 36 Teilnehmern, davon 34 Mädchen, was ihm die Bezeichnung „Klingebiels Harem“ eintrug.

Für den bilingualen Zweig hast Du von seinen Anfängen an empfindliche Beeinträchtigungen Deines eigenen Unterrichts bis zur didaktischen Selbstaufgabe klaglos hingenommen, wenn ich als Vertretungsplaner Dich ein ums andere Mal bitten musste, die zweite, nicht selten auch die dritte unversorgte parallele Lerngruppe mit zu übernehmen und eine ganze Jahrgangsstufe, weit über 5O Schülerinnen und Schüler de improviso und ex tempore zu unterrichten.

Besondere Verdienste hast Du Dir mit der Leitung von Arbeitsgemeinschaften erworben, jahrelang z.B. eine Schach-AG mit 7 – 1O Schülern betreut. Einzigartig in Stadt und Land Osnabrück war und blieb die AG – Reiten auf einem Reiterhof in Hesepe bei Bramsche mit bis zu 24 Teilnehmern aus allen Jahrgangsstufen. Zudem hast Du die Aufgaben eines Fachobmannes für Verkehrserziehung und die Zusammenarbeit mit der Polizei übernommen.

Nahezu unübersehbar sind die Austausch-, Klassen- und Studienfahrten, die Du entweder selber geleitet oder, von Lehrer- wie von Schülerseite immer wieder darum gebeten, begleitet hast; insgesamt 42, ein wahrer Rekord.

So hast Du den Austausch mit Zutphen eingefädelt und befördert, trotz fehlender Sprachkenntnisse in Französisch Schüleraustauschfahrten nach Angers betreut, Kontakte mit dem Jahn – Gymnasium Greifswald und dem Lyzeum Nr. 1 in Twer hergestellt, ein gemeinsames Treffen mit den 3 Partnerschulen in Osnabrück vorbereitet und organisiert.

Auf unserer Twerreise 1995 hast Du mehreren russischen Schülern die Tickets für die gemeinsame Fahrt nach St. Petersburg unauffällig geschenkt, hernach eine russische Schülerin ein Jahr in Deinem Haus aufgenommen und in unsere Zivilisation und Kultur eingeführt. Ihre Mutter, stellvertretende Leiterin unserer Partnerschule in Twer, wird sich zeitlebens an diese generöse Geste dankbar erinnern.

In besonderer Weise hast Du Dich der Ausbildung von Referendarinnen und Referendaren angenommen. 31 müssten es gewesen sein, 21 haben in Deinem Unterricht die Examenslehrprobe abgelegt.

Mehrmals wählten wir Dich in den Lehrerpersonalrat, zweimal in unmittelbarer Aufeinanderfolge die Schülerinnen und Schüler zum „LEHRER DES JAHRES“

Lieber Klaus,

wer eine so breite Palette von Einsätzen neben dem regulären Unterricht her vorweisen kann, braucht – auch und gerade in der Rückschau – um seine Akzeptanz und Resonanz bei Schülern, Lehrern, Eltern nicht zu fürchten:

Er ist ein Lehrer, wie er im Buche steht, ein originaler und origineller Schulmeister der alten Schule, begabt mit natürlicher Autorität, mit Frohsinn, Witz und Humor, gegenüber neuen pädagogischen Moden und Wunschträumen immun oder eher resistent; er ist erfolgsorientiert, auf Evidenz und Effizienz bedacht, verlangt viel und bleibt doch immer nahe bei seinen Schülern und ein fairer Partner; er hat Verständnis für ihre individuellen Nöte, stärkt ihr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, fördert unaufdringlich eindringlich ihr Sozialverhalten, behandelt sie mit wohlwollender Konsequenz; er ist mal Schauspieler mit Ambitionen zur Selbstinszenierung, mal einfühlsamer Zuhörer; er hat ein Gespür für Raum und Zeit, kann meisterhaft erzählen: von Reisen in andere Kontinente, nach Afrika und Amerika, von seiner Apfelsinenplantage in Florida, von Bärenjagden in Kanada und Alaska, von einem Duell mit einer Leopardin, mit der er es in offener Wildbahn in Namibia im Nahkampf aufnahm; er ist unkonventionell: kommt frühmorgens mit einem BMW der Luxusklasse vorgefahren und entsteigt ihm in abgewetzten Jeans, achtet dann aber streng auf Ordnung, ist pflichtbewusst, absolut zuverlässig, schlagfertig und in keiner Situation um eine Antwort verlegen; kann einem – auch unverblümt – unangenehme Dinge bzw. Wahrheiten sagen oder was er dafür hält; er ist wohl darum schon mal ein Zyniker genannt worden, tatsächlich ist er ein Realist, aber sein Realismus ist von einer Konsequenz, die zu tragen nicht jeder bereit ist; er ist entscheidungsfreudig und übernimmt gern persönliche Verantwortung, überaus flexibel und durch und durch pragmatisch, ein Improvisationstalent, das Probleme, wie sie im Schulalltag immer wieder auftreten, schnell und unauffällig regelt oder gar löst, ohne vorher erst noch Rat und Genehmigung bei der Schulleitung einzuholen oder sich bei ihr zu beschweren; scheut dann auch vor Eigenmächtigkeiten nicht zurück, wenn sonst nur lange Wege zu gehen wären; nimmt sich selbst nicht allzu wichtig und hat Achtung vor allen, die sich selbst auch nicht so wichtig nehmen. Wenn es allerdings um seine Schülerinnen und Schüler geht, legt er Wert darauf, dass ihre Namen deutlich ausgesprochen und richtig geschrieben werden; er ist kritisch, fast misstrauisch gegenüber Anordnungen von oben; geradlinig, steht für das ein, was er sagt und tut; vertritt Grundsätze, an die er sich selber hält, immer darauf bedacht, sich nur nicht verbiegen zu lassen und vor sich selber bestehen zu können. –

Klaus, lass es mich schlicht auf den Punkt bringen:

DU BIST ÜBER ALL’ DIE JAHRE
DIR UND DEINEN PRINZIPIEN IMMER TREU GEBLIEBEN.

Das Schicksal nimmt bekanntlich auch darauf keine Rücksicht:

Am 26. Juni 1989 setzte Dich ein schwerer, unverschuldeter Verkehrsunfall, der leicht auch tödlich hätte enden können, für ein halbes Jahr außer Gefecht. Schwere Gleichgewichts-, Gedächtnis- und Sehstörungen, der von Dir so benannte „Dachschaden“ waren die Folge. Doch unsere Schülerinnen und Schüler ließen ihren Lehrer nicht allein und nicht im Stich:

Sie sprachen ihre Besuche in den städtischen Kliniken untereinander ab, standen oder saßen zu mehreren um das Krankenbett herum, heiterten Dich auf, informierten Dich täglich über das Schulgeschehen, brachten Dir Lektüre ans Krankenbett, stützten Dich bei ersten Gehversuchen auf der Station, holten Dich später vom Lehrerzimmer ab, begleiteten oder eher: geleiteten Dich in den Unterricht, halfen ein, wenn plötzlich Erinnerungslücken aufbrachen, hielten von sich aus das Unterrichtsgespräch in einem Tafelbild fest, trugen Stundenthema und Hausaufgaben ins Klassenbuch ein, solange Du selbst noch nicht schreiben konntest. Ihnen hast Du Dein pädagogisches Überleben zu verdanken, sie haben Dich vor der drohenden frühzeitigen Pensionierung bewahrt. –

Lieber Klaus,

Wir haben es alle miterlebt: Die letzten 16 Jahre, die zweite Hälfte am EMA sind Dir nicht leicht gefallen, Du hast sie Dir wahrlich abringen müssen. Das alles konnte nur gelingen, weil Unterrichten und Lehren Dein Lebenselixier geblieben ist, das Dir – um es in Deinen Worten zu sagen – einen „WAHNSINNSSPASS“ gemacht hat, einen „WAHNSINNSSPASS“! –

Deine Dienste an der Schule wirst Du – wie ganz selbstverständlich – mit der Betreuung der Modelleisenbahn – AG fortsetzen; Deine Verdienste um sie werden Deinen Abschied heute und hernach noch lange überdauern.

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