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Schulz, Paul

Schulz, Paul

Studienrat Schulz kam 1929 als junger Lehrer an unsere Schule. Er wurde 1933 aus dem Schuldienst „in den dauernden Ruhestand versetzt“. Inwieweit dies auf der Grundlage des berüchtigten „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 geschah, ist noch nicht ganz klar.

Karin Jabs schreibt in ihrem Aufsatz über die Geschichte der Schule 1867 bis 1992, der anlässlich des 125jährigen Schuljubiläums erschienen ist, über Schulz:

» Zum anderen zeigen Vorgänge bei einer weihnachtlichen Andacht am 15. Dezember 1930, wie schwierig es nach dem Wahlerfolg der NSDAP im September desselben Jahres bereits wird, den Gedanken des Friedens kompromißlos zu vertreten. Es ist hier der Name eines Kollegen, PAUL SCHULZ, zu nennen, an dessen Schicksal exemplarisch die Katastrophe verdeutlicht werden kann, die Ende Januar 1933 für Menschen wie ihn hereinbricht. Bereits im Dezember 1929, erst wenige Monate an der Schule unterrichtend, gelingt Schulz mit Unterprimanern die Aufführung eines Stücke über Franz von Assisi, in welchem der Heilige versucht, den türkischen Sultan für den Frieden und den Gedanken der Bruderliebe zu gewinnen. Ein Jahr später nun bezieht sich der junge Studienrat in einer morgendlichen Adventsandacht auf den Film „Westfront“ und führt unter anderem aus: „Nicht länger sind diejenigen Ideologen oder weltfremde Schwärmer zu nennen, die im Kriege ein Schreckbild sehen, sondern diejenigen, die von seinen Stahlbädern eine Gesundung von Volk und Rasse erwarten. Welche Hoffnung auf Frieden ist jedoch trotz allem Rüstungsfieber heute vorhanden? Von einem Hoffnungsstrahl will ich heute reden, davon, daß mehr und mehr in den Kirchen erkannt wird, daß nur dort wahrer Glaube herrscht, wo die göttlichen Lehren auch tatsächlich auf die Wirklichkeit angewandt werden, wo Gott mehr gehorcht wird als den menschlichen Gewalthabern […] Jesus war ein Revolutionär des Geistes, der […] von jedem einzelnen durch mutiges Bekenntnis zur Nachfolge den Fortschritt der Menschheit erwartete […] Was Völkerhaß und Zerstörung leisten kann, hat der Weltkrieg mit seinem Schrecken und zahllosen bösen Folgen gezeigt, der trotz aller einzelnen Heldentaten in seinen Methoden eine Scham für die Menschheit ist […]“[26] Es sei angemerkt, daß Schulz nicht das Fach Religion an der Schule vertritt, sondern Lehrer für Deutsch, Englisch und Geschichte ist. Er hatte in dieser Adventszeit erstmalig angeregt, die üblichen Andachten im Wechsel von verschiedenen interessierten Kollegen gestalten zu lassen, was auch geschieht. Bei den oben zitierten Ausführungen bleiben die Schüler mitnichten so aufmerksam und diszipliniert wie sonst wohl üblich. Der stellvertretende Schulleiter, Dr. Thoelke, kommentiert die Vorgänge in einem fast vierseitigen Bericht für die Schulakten. Er stellt sich voll und ganz hinter Schulz und nimmt eine Woche später die Gelegenheit wahr, vor den Schülern zu den Worten von Schulz Stellung zu nehmen. Danach hätten diese die Aula „still und anscheinend ernst“ verlassen. Aber im Kollegium wird gestritten um diese Andacht, und so wird Schulz sogar vorgeworfen, er sei gegen den Geist des Christentums. Was könnte die Krisenstimmung am Ende der Weimarer Republik deutlicher vor Augen führen! Gab es etwa schon „Deutsche Christen“? Noch nicht! Es galt jedoch weiter zu kämpfen, sich nicht entmutigen zu lassen. So hält Schulz am 11. August 1931 die Verfassungsrede. Aus diesem Anlaß fand ja jährlich eine Feier statt. Wir wissen nicht, wie es dazu kam. Aber es darf wohl vermutet werden, daß Direktor Wendland angesichts der Zuspitzung des innenpolitischen Klimas im Reich ihm diese Rede anvertraute. Und was für eine Rede! Sie ist stellenweise so mutig, so offen, so eindringlich, daß man beim Lesen wiederholt innehält, nachdenkt und sich fragt, wie dieser Kollege die Spannungen jener Zeit überhaupt ausgehalten hat, ganz zu schweigen von denen, die noch folgen werden. Und die Bewunderung wird auch nicht geschmälert dadurch, daß Hindenburg zu sehr glorifiziert wird und die Sprache stellenweise zu pathetisch erscheint. Dies alles liegt über sechzig Jahre zurück, und Sprachgepflogenheiten ändern sich. Und doch lohnt es, auch nach so vielen Jahrzehnten, solche Gedanken aufzunehmen – gegen Ende dieses Jahrhunderts im wiedervereinigten Deutschland:

„[…] Niemand kann es leugnen, daß mit der Annahme der Weimarer Verfassung eine schicksalsreiche, denkwürdige Epoche der deutschen Geschichte ihren Abschluß gefunden und eine neue Zeit leidenschaftlichen Bemühens um die politische und kulturelle Neugestaltung ihren Ausgang genommen hat […] Manche ehrliche Patrioten […] lieben die Verfassung nicht, weil sie durch sie an die vorausgegangene Revolution und den Zusammenbruch des deutschen Volkes erinnert werden. Sie fühlen Schmerz über vergangene Ruhmeszeiten und vermögen voller Erbitterung die Notwendigkeit eines Neuaufbaues in neuem Geiste nicht anzuerkennen.“

Nach einem kurzen Rückblick auf die Ereignisse im Zusammenhang mit der Novemberrevolution fährt der Redner fort: „[…] Der Sinn des vierjährigen Ringens und alles Gemeinschaftsgefühl war verlorengegangen. Große Schichten des Volkes glaubten nicht mehr an die gerechte Sache der Nation, sondern fürchteten, für selbstsüchtige Macht- und Geldinteressen herrschender Gruppen alle die ungeheuren Blutopfer des Krieges gebracht zu haben. Eine Hälfte der Nation schob die Schuld am Ausbruch des Krieges oder am Zusammenbruch des nationalen Widerstandes auf die andere. Die unteren Schichten des Volkes fürchteten, daß die erwarteten drückenden Lasten des verlorenen Krieges hauptsächlich auf ihre Schultern abgewälzt würden. Man verlangte nach neuen, den gebrachten Opfern des Lebens entsprechenden Rechten, nach einer Umwälzung von unten nach oben […] Das Streben nach der Diktatur bolschewistischer Minderheiten wurde überwunden durch den gesamten Sieg des demokratischen Gedankens […] Durch die Beteiligung des gesamten Volkes in der Abgabe von über 30 Millionen Stimmen für die Weimarer Nationalversammlung gehört die Revolution als historische Tatsache der Vergangenheit an, die man aus den Zeitumständen zu verstehen und über die man als Deutscher über Deutsche ein gerechtes und massvolles (sic) Urteil zu fällen hat. Die Weimarer Verfassung ist unser aller Verfassung, denn ohne ihr Zustandekommen wäre es vielleicht zu einem unüberbrückbaren Bruch mit der deutschen Vergangenheit und zu ähnlich chaotischen Zuständen wie in Rußland gekommen.“

Es folgt sodann ein Blick auf den damaligen Reichspräsidenten Hindenburg, dem für seine selbstlose Plichterfüllung gedankt wird. Und weiter heißt es.

„[…] Wer möchte auch ernstlich zu behaupten wagen, daß in der Vergangenheit schon alle nationalen und menschlichen Ziele erreicht waren oder daß das alte Reich den letzten Höhepunkt politischer Weisheit und freiheitlich-sittlicher Kultur darstellte […] Zu seiner Verwirklichung [des wahren Reiches der Deutschen] sollten sich beide Hälften des deutschen Volkes zusammenfinden. Alle, die in stolzer Treue an den alten Kaiserreichsfarben schwarz-weiß-rot hängen, als dem Symbol ruhmvoller Vergangenheit, und alle die, welche die Farben schwarz-rot-gold entfaltet haben zur Erneuerung des alten, völkisch-demokratischen Einheitstraumes nach den Befreiungskriegen und der 48er Revolution, haben ihr gutes Recht und ihre edlen Gründe dazu. Aber sie müssen sich, trotz ihrer verschiedenen Einstellungen, zum mindesten gegenseitig zu verstehen und als ehrliche Gegner zu achten suchen. Am wünschenswertesten aber wäre es, wenn sie alles Streiten über die Vergangenheit abtäten und sich die Hände reichten zu ehrlicher Mitarbeit am Aufbau eines äußerlich grösseren (sic) und innerlich freieren neuen deutschen Reiches […] Die Verfassung aber hat dem deutschen Volke nicht nur den äußeren Rahmen gegeben, in dem sich sein Leben abspielen kann. Es ist in ihrer Idee zugleich auch das allernotwendigste Ideal der kommenden Generation selbst enthalten, nämlich die Aufgabe des Gewaltgedankens, der Wille zum geistigen Wettkampfe und der Glaube an den endlichen Sieg der Wahrheit […] Nur von unten nach oben und nicht umgekehrt kann sich eine Nation entwickeln […] Solch ein Volk mannigfaltiger Charaktere aber kann nur gedeihen unter einer freiheitlichen Verfassung, die eines jeden Menschenrechte schützt und einem jedem die Freiheit des Zusammenschlusses, die Freiheit des Denkens und der Meinungsäußerung sichert […] Die Verfassung setzt an die Stelle des obrigkeitlichen Zwanges den freien Wettkampf der Geister. Durch ihre Gesetze ist dem politischen Kampfe das fair play gesichert. In der Diktatur und der Demokratie stehen sich der Machtgedanke und der Erziehungsgedanke, Zwang und Freiwilligkeit schroff gegenüber. Wer mit der Diktatur liebäugelt, muß sich klar sein, daß er sich seiner geistigen Freiheit begibt und einen obrigkeitlichen Polizeistaat herbeiwünscht […] Der Diktator sieht letzten Endes im Untertanen nur die widerspenstige Kanaille. Ihm ist der Zwang, alle einzelnen erst überzeugen zu müssen, ein lästiger Umweg zu einem Ergebnis, das ein Kommando viel schneller erzwingen kann […]

Wenn wir auf die gegenwärtigen politischen Kämpfe in Deutschland schauen, treibt uns die Art und Weise dieser Kämpfe die Schamröte ins Gesicht, so daß man sein Deutschtum verleugnen und alle Teilnahme am öffentlichen Parteileben aufgeben möchte. Doch wer könnte sein Vaterland in der Not im Stich lassen […] Die Verfassung bildet ein kühnes Wagnis, das das gesamte Volk plötzlich in den Sattel setzen will, voller Vertrauen darauf, daß es schon reiten lernen werde, da es ja reiten lernen müsse, um nicht hinunterzufallen […] Die Verfassungsgeber wußten, daß alle Einheit des Staates letztlich nicht auf der Einheit der Leitung sondern auf der Einheit der Geleiteten beruht. Um sich der Mitarbeit aller zu versichern, gab man dem einzelnen das Recht zur freien Entwicklung seiner Persönlichkeit, worin nach Goethe das höchste Glück und die höchste Pflicht aller Menschenkinder beruht […] – Die Weimarer Verfassung ist nicht zufällig nur im dortigen Goethe-Schiller-Theater beschlossen worden, sondern sie atmet auch in vielen ihrer Artikel den Geist deutschen humanistischen Idealismus […]

Es ist wieder einmal Notzeit geworden für das deutsche Volk. Alle, die sich zu Führern berufen fühlen, sollten daher ihre Parteizugehörigkeit überwinden und zum gemeinsamen Kampfe gegen die Uneinigkeit sich in die Reihen stellen. Machen wir uns den Verfassungseid, den der Reichspräsident vor dem Reichstage bei seinem Amtsantritt geleistet hat, zu eigen und sprechen wir: ‚Ich schwöre, daß ich […] die Verfassung und die Gesetze des Reiches wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.’“[27]

Mit einem Hoch auf Reichspräsident Generalfeldmarschall von Hindenburg endet diese Rede, die ein bemerkenswertes Zeitdokument darstellt und andererseits Aussagen enthält, die bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben. Die Ausführlichkeit der Wiedergabe mag von daher gerechtfertigt sein. Leider wissen wir nicht, wie die damalige Zuhörerschaft die Ausführungen Schulzes aufgenommen hat. Anderthalb Jahre später ist die öffentliche Äußerung solcher Gedanken unmöglich geworden. Beunruhigt fragt sich der Leser, was wohl nach dem 7. April 1933, nach dem ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums“, aus diesem mutigen, geradlinigen Paul Schulz geworden ist. Im Jahresbericht des Schuljahres 1933/34 findet sich ein Abschnitt über dieses erste Jahr am „Beginn einer ganz neuen Zeit“. Danach besucht Ende November 1933 der neue Dezernent die Schule und betont dabei, „daß künftig nur solche Lehrer und Erzieher in der Schule des Dritten Reiches Verwendung finden können, die freudig aus stärkstem inneren Erlebnis diesen Staat bejahten“.

Welch ein Wandel! Im Jahresbericht heißt es ganz nüchtern weiter: „Oberstudienrat Dr. Thoelke wurde zu Beginn des Schuljahres beurlaubt, sodann nach Norden versetzt […] Studienrat Schulz wurde in dauernden Ruhestand versetzt.“ Ob man sich auch des Artikels 4 des erwähnten Gesetzes bedient, worin es heißt: „Im Interesse des Dienstes entlassen“, ist nicht bekannt. Vielen ist es damals so ergangen, unter ihnen die damals 32jährige Dozentin an der pädagogischen Akademie Stettin, Dr. Elisabeth Siegel, der viele Jahrzehnte später (1984) die Mösermedallie der Stadt Osnabrück verliehen werden wird!«

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