Schumacher, Martin, Dr.

Fächer: Deutsch / Englisch / Geschichte

1959 ins Kollegium eingetreten, gestorben 2013 (?)


Die Schulzeitschrift „neue realität“ gab Lehrkräften, die neu am EMA waren, Gelegenheit, sich vorzustellen.

„Junge Menschen ins Leben zu begleiten . . .“

Mein Leben ließe sich heute in zwei zeitlich etwa gleich lange Abschnitte gliedern: in rund vierzehn Jahre vor und ebenso viele Jahre nach dem Krieg, und dazwischen lagen dann jene sechs verhängnisvollen Jahre, in deren Verlauf mein Leben wie das sehr vieler Menschen unseres Volkes eine tiefgreifende Schicksalswende erfuhr. Eine

sehr glückliche Kindheit in einem harmonischen, innerlich großzügigen Elternhaus in meiner geliebten, unvergeßlichen Heimatstadt Königsberg in Ostpreußen, eine Kindheit mit sehr viel Freiheit, aber auch früher Selbstverantwortlichkeit, mit Musik, Sport, treuen Freunden, manchen Reisen, unbeschwerten langen Ferien und freien Tagen an der Ostseeküste des Samlandes und der Kurischen Nehrung – mit der Bahn eine gute halbe Stunde von der Stadt entfernt – und den Masurischen Seen, mit der Schulzeit an der ehrwürdigen, dreihundertjährigen Burgschule, zu welcher schon mein Vater und später vierundzwanzig Jahre lang als Studienrat gehörte -, viel zu schnell, damals für mich natürlich nicht schnell genug (!), war dieser Lebensabschnitt zu Ende, als ich mit sechzehn Jahren als Kriegsfreiwilliger hinausging und alles hinter mir zurückließ.
Im August 1944 sank Königsberg bei zwei Luftangriffen in Trümmer; im Januar 1945 an der Ostfront schwer verwundet, fand ich mich in Lazaretten in Mittel- und Westdeutschland wieder, geriet in amerikanische und englische Kriegsgefangenschaft, wurde aber als Kriegsversehrter schon 1945 entlassen. Mein Vater fiel im Januar 1945 in Ostpreußen, meine Mutter verließ unser Haus in Königsberg, mein Bruder stand an der Westfront. Als wir drei uns in einer kleinen Stadt Niedersachsens zusammenfanden, hatten wir nichts mehr – außer dem Gefühl, offenbar zunächst davongekommen zu sein. Aber es fand sich Arbeit, und so später für meinen Bruder die Möglichkeit, sein Medizinstudium zu beenden, für mich, mein Abitur zum zweitenmal zu machen, das Kriegsabitur galt nichts mehr, und dann stand ich vor der Frage, was nun aus mir werden sollte. Würden sich Berufspläne und Hoffnungen, die im Krieg weit zurückgestellt, die unter ganz anderen Voraussetzungen gefaßt worden waren, doch noch verwirklichen lassen? Mit wachsender Einsicht in das, was geschehen war, klärte sich der Blick für das, was auf dem Spiel stand, mehrte sich der Zweifel am Erfolg dessen, was noch möglich schien. Ein Studium ohne Geld, ohne Bücher und Kleidung (ich steckte noch in meiner zerschlissenen Uniform) und ohne hilfreiche Freunde, unter den damaligen Verhältnissen mit Hunger und größter Wohnungsnot?
Und doch: Ich studierte zunächst in Bayern, später in Göttingen neben Philosophie, Pädagogik und Psychologie als Fachstudium Germanistik, Anglistik und Geschichte, promovierte zum Dr. phil. mit einer Dissertation in neuerer Geschichte, machte Staatsexamen und wurde Studienreferendar in Bückeburg. Das ist schnell erzählt; aber es waren oft keine leichten, schon gar keine unbeschwerten Jahre. In den Semesterferien wurde für Geld gearbeitet, dann aber auch einmal eine Zeit in einem College in Oxford verbracht. Meine Frau lernte ich fern unserer gemeinsamen Heimat kennen, auch sie stammt
aus einer Studienratsfamilie in Königsberg. 1950 heirateten wir und wohnten während der ersten Jahre unserer Ehe in Bückeburg, von wo aus ich nach dem ersten Halbjahr als Studienreferendar an das Studienseminar in Osnabrück versetzt und für eineinhalb Jahre dem Ratsgymnasium überwiesen wurde. Nach dem Pädagogischen Examen blieb ich auch als Studienassessor in Osnabrück, und ich blieb gern hier (wo wir auch eine schöne Wohnung bezogen haben), zunächst seit fast zwei Jahren am Gymnasium für Mädchen, wo ich auch jetzt noch unterrichte, daneben während des vergangenen Schuljahres auch am Gymnasium Carolinum, und jetzt seit Ostern 1959 mit der Mehrzahl meiner Stunden am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium.
Ob ich den „richtigen“ Beruf gewählt habe? Ich denke wohl; denn wenn unser Volk wieder eine Zukunft haben soll, die sich den Werten der abendländischen Kultur verpflichtet weiß, so muß diese Zukunft einst von jungen Menschen gelebt und gestaltet werden. Junge Menschen auf dem Weg ins Leben ein Stück helfend und ratend zu begleiten – gibt es etwas Schöneres?
Dr. Martin Schumacher

Quelle: „neue realität„, Heft 5 (Sommer 1959)

 

Schumacher (Foto: privat)

 

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