Theater- und Musical – AG: Drei Versuche einer Bilanz
von Peter Dölle
Eine Theatergeneration zieht von dannen. Das ehemalige „leichte“ Mädchen [1], auf dem Weg zum Abitur ein anständ’jes [2] geworden, der Hasendirektor[3] , später skrupellose Verbrecher[4] , zum gutmütigen englisch-aristokratischen Oberst[5]; auferstanden, und nicht zuletzt der korrupte Armenhausbesitzer[6], dann Lügner[7], harmlos Verrückte, der sich für Teddy Roosevelt hält[8]; und schließlich als liebenswert arroganter Professor für Phonetik[9]; seinen Abschluß macht – nach 7 Jahren EMA die Schule und nach vielen Rollen auch deren gerade aufblühende Theaterbühne verlassend, wurden wir gebeten, Bilanz zu ziehen.
Ein erster Versuch:
Es war einmal eine ahnungslose Musiklehrerin namens Birgit Willenbrock, die unterrichtete an einer kleinen Schule irgendwo am Stadtrand von Osnabrück. Eines Tages versammelte sie eine Horde Schüler um sich und sprach: „Kennt ihr die Geschichte von Oliver Twist? Habt ihr Lust, ein Musical einzustudieren, das denen der Schulen in der Stadtmitte um nichts nachsteht?“ So geschah es. Ein jeder erhielt eine Rolle. Schauspieler und solche, die es werden wollten, begannen fieberhaft zu proben. In einer Mischung aus Streß, Spaß und Chaos nahm das Vorhaben langsam, seehhr langsam, Gestalt an. Dabei ergab sich so manch wundersame Verwandlung, als die meisten – schließlich – mit dem Kleid auch den Charakter wechselten.
Und als endlich, eine Woche vor dem entscheidenden Tag der Premiere, die Kulissen fertig und die Kostüme mühsam zusammengesucht waren, hatten die Sänger nicht nur den spannenden Umgang mit bisweilen launischen Mikrophonen gelernt; die meisten konnten ihren Text sogar schon fast auswendig…
Die folgende Aufführung wurde tatsächlich ein Erfolg! – Doch das wurde den Schauspielern zum Verhängnis! Eine schreckliche Sucht breitete sich in Windeseile aus, und schon bald unter Entzugserscheinungen leidend, flehten die Schüler Frau Willenbrock an, ihnen eine neue, stärkere Dosis zu verabreichen. Sie wurden erhört, und man warf ihr neue Texte vor die Füße. Das Unheil nahm seinen Lauf… Unaufhaltsam zog das EMA-Theater seine Opfer in den Bann. Weitere Aufführungen folgten. Die Entwicklung wurde sogar von der Schulleitung und dem Förderverein unterstützt. Vorerst ist somit keine Wendung abzusehen…
Die Schule hat nun 3 von der seltsamen Krankheit Befallene mit akuter Gefahr von Entzugserscheinungen auf dem Gewissen. Bleibt abzuwarten, ob sie eine Ersatzdroge gleichen Kalibers retten wird…
Der 2. Versuch (zum Thema Chaos):
Schauplatz: Pädagogische Hügelchen des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums Zeit: Mai 1994 Stimmengewirr.
HERR JOHANNSMEIER: Was soll die Aufregung? Kein Problem. Das erledige ich nachher in 5 Minuten.
HERR DÖLLE: Wer hat denn jetzt schon wieder die Pralines aufgegessen???
STIMME VON LINKS: Ich muß jetzt weg, ich habe ’nen Arzttermin. STIMME VON RECHTS: Dauert’s noch lange? Ich krieg in ’ner halben Stunde Besuch. STIMME VON HINTEN: Ich lern‘ meinen Text morgen in der Umbaupause, ja?
EIN URSCHREI AUS DER MITTE: D-I-E-S I-S-T D-I-E G-E-N-E-R-A-L-P-R-O-B-E ?!
– Schnitt – Premiere-
Stimmengewirr hinter dem Vorhang: – Ich bin so aufgeregt! – Hast du meinen Hut gesehen? – Nur keine Panik. Herr Krebs beginnt zu dirigieren: Mit ’nem kleenen Stückchen Glück…
RUF EINER ZUSCHAUERIN: „…hast du bei der Aufführung Grippe!“
Und wenn schon! Egal. Trotzdem:
– Umarmungen, Blumensträuße –
– Vorhang fällt –
P. Dölle (aus: ema-report 1994, S. 34ff.)
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1 „Oliver“, Premiere am 27.10.92
2 „My fair lady“, Premiere am 28./29.5.1994
3 „Der Sängerkrieg der Heidehasen“, Premiere am 3.5.1991
4 vgl. 1
5 vgl. 1
6 vgl. 1
7 „Der Lügner“ (Goldoni), Premiere am 26.5.1993
8 „Arsenic and old lace“, Premiere am 3.5.1994
9 vgl. 2