„Diesen Rassenquatsch hatten wir schnell durchschaut“ – Heinz Aulfes (*1927) erzählt.

10.03.2015 Heinz Aulfes spricht zu dem Abiturjahrgang des EMA. Seine erste Begegnung mit Nazis hatte Heinz Aulfes, Jahrgang 1927 bereits mit etwa dreieinhalb Jahren. Als es in einer Gruppe von jungen Leuten, die im August 1930 am Kränzen waren, zum Streit mit dem Nazi Peter Schmidt kam, trat Wilhelm Kropp, ein bekannter Sozialdemokrat dazwischen, um zu schlichten. Der Nazi stach mit dem Messer auf ihn ein, und Kropp verblutete. Schmidt wurde im Spritzenhaus der Feuerwehr festgesetzt, das bald von einer wütenden Menge umlagert wurde. Aulfes sieht heute noch die vor Angst weit aufgerissene Augen in dem aufgedunsenen kreidebleichen Gesicht des Mörders, der befürchtete, man werde ihn auf der Stelle lynchen. (Er wurde übrigens schon nach gut zwei Jahren aus dem Gefängnis entlassen.) Dass Nazis Tod und Schrecken und Verderben bringen, hat Aulfes schon sehr früh lernen müssen. Am 10. März war er zu Gast bei uns am EMA und sprach vor dem Abiturjahrgang seiner alten Schule über seine „Verlorene Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus“. Er war zwischen 1941 bis 1944 auch Schüler unseres Gymnasiums, damals noch „Staatliche Oberschule für Jungen“ genannt. Aulfes las aus seinem Buch „Ihr seid die beste Jugend des tüchtigsten Volkes“ und erzählte aus seiner Zeit in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen Pimpfe, Jungvolk, Hitler-Jugend (HJ). Überhaupt habe man in Superlativen geschwelgt, „die größte Zeit des deutschen Volkes“, „die tapfersten Soldaten“, „die heldenhaftesten Schlachten und die glorreichsten Siege“, der „Größte Feldherr aller Zeiten“ usw. usf. Sein Vater, ein Sozialdemokrat habe gegengehalten und habe ihm geraten, sich „anzupassen, aber ohne Schaden an der Seele zu nehmen“. Natürlich habe sich die Mehrheit der Jugendlichen von solchen Sprüchen einwickeln lassen, natürlich hätten die Nazis das Interesse der Jungen an Technik schamlos ausgenutzt, indem sie die Jungs schon früh mit Kriegsgerät herumspielen ließen, und beim sog. „HJ-Dienst“ sei man draußen gewesen, Geländespiele, Marschieren, Singen – häufig Volkslieder, aber auch ganz widerwärtiges blutrünstiges Gebrüll. Über die Lehrer berichtete er, dass ungefähr ein halbes Dutzend Demokraten wohl so unpolitisch gewesen sei wie es irgend ging, ein Dutzend seien bekennende Nationalsozialisten gewesen, und wohl die Mehrheit Parteimitglieder. Aber der Schulleiter Dr. Heinze und ein anderer Lehrer, der sich noch Prof. Dr. nennen durfte, waren überzeugte Nazis. Aulfes‘ Respekt vor den Titeln und der wissenschaftlichen Autorität der beiden schmolz dahin, als sie den „Rassenquatsch“ vertraten und im Unterricht in Geschichte und Biologie die wissenschaftlichen Befunde nach Maßgabe der Rassenidiotie der Nazis umdeuteten. Das hatten die Jungs schnell durchschaut. 1944 war dann die Schulzeit Knall auf Fall zu Ende, er musste dann Flakhelfer werden, auch in einer Flakstellung am Sonnenhügel, dann zum Arbeitsdienst („nichts Anderes als militärischer Drill“), und im Januar 1945, da war er noch 17, wurde er zur Armee von General Wenck eingezogen und musste an die Front. „Das war ein Massensterben. Viele sind nicht übrig geblieben.“ Da kommt es wieder, das unzertrennliche Paar: Nazis und Tod. In der anschließenden Diskussion fragten die Schülerinnen und Schüler, was er über die Verfolgung von Juden wisse (in Bramsche gab es nur 2 jüdische Familien und keine Synagoge – „wenn das anders gewesen wäre, wäre es ganz furchtbar geworden!“ – und über Konzentrationslager gewusst habe („Dass es die gab, wusste jeder, immerhin hatte Göring das sogar in einer Rundfunkrede spöttisch erwähnt.“) Und ob man sich getroffen habe, ob Schriftstücke oder Flugblätter verteilt wurden? „Das war lebensgefährlich; das Schicksal der Geschwister Scholl war bekannt geworden. Einzige Informationsquelle war die BBC, das Radio der Engländer.“ Wie er es denn ausgehalten habe als Kind sozialdemokratischer Eltern unter so vielen Nazis und deren Mitläufern? Manche Lieder habe er nicht mitgesungen, er habe versucht, sich herauszuhalten, und er habe eben gelernt, sich zu verstecken, sich anzupassen, aber ohne Schaden an der Seele zu nehmen. Herr Aulfes hat mit seinen 88 Jahren zwei Doppelstunden vorgelesen, erzählt, Fragen beantwortet und diskutiert, und er war auch noch danach beim Kaffee im Dienstzimmer des Schulleiters von erstaunlicher Frische – Hut ab! H. Brammer-Willenbrock

von links: Dr. Wolfgang Hesse, Heinz Aulfes, Schulleiter Hartmut Bruns – Foto: EMA

 

Bruns, Aulfes, Dr. Hesse – Foto: EMA

Dr. Wolfgang Hesse, der in seinem Verlag Biographien herausgibt, hat Herrn Aulfes begleitet. Das Buch „Ihr seid die beste Jugend des tüchtigsten Volkes“ ist für € 16,50 erhältlich. Mehr Informationen sind hier: Heinz Aulfes, Ihr seid die beste Jugend des tüchtigsten Volkes Verlag: mariprosa ISBN: ISBN 978-3-9816170-1-6 Preis: 16,50 € Erscheinungsjahr: 2013 Umfang: 244 Seiten, Format 140 x 215 Softcover Heinz Aulfes, Jahrgang 1927, hat die gelebte Geschichte seiner Schülerzeit im Dritten Reich (1933-1945) in einer niedersächsischen Kleinstadt und die Soldatenzeit in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges aufgeschrieben. Das Buch verbindet persönliche Lebensgeschichte, Stadtges chichte und Zeitgeschichte. Internetauftritt von biografforum.net

 

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