1. henne-2003

Henne, Nelly

Fächer: Mathematik, Physik

seit 1978 am EMA;
geboren in einer schwarzmeerdeutschen Familie in Georgien,
aufgewachsen in Kasachstan,
seit 1977 in Deutschand
2003 haben wir Nelly Henne in den Ruhestand verabschiedet.

Zur Verabschiedung von
Nelly Henne, Karin Jabs-Kiesler und Dr. Heinrich Hirschfelder am 8. Juli 2003

Laudatio des Schulleiters Hartmut Bruns

Es ist ein unmögliches Unterfangen heute – bei drei so unterschiedlichen Persönlichkeiten – etwas zu sagen und damit Ihnen allen gleichzeitig gerecht zu werden, ohne gleich drei Reden zu halten.

Dennoch möchte ich Ihnen, sicherlich nicht als Ihr bedeutendster, aber als Ihr letzter Schulleiter, etwas mit auf den Weg geben, das ehrlich gemeint und wenig floskelhaft ist, etwas, an das Sie sich gerne erinnern.

„Niemand denkt und fühlt und handelt so wie Du,
Und niemand lächelt, so wie Du’s grad tust.
Vergiss nie: Niemand sieht den Himmel ganz genau wie Du,
Und niemand hat je, was Du weißt, gewusst“.
(Jürgen Werth)

Jeder von Ihnen hat das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in den letzten 20 Jahren auf besondere Weise geprägt, jeder auf seine ganz persönliche Art und Weise; und Schülerinnen und Schüler haben das auch zu schätzen gewusst, was ich an drei kleinen Beispielen verdeutlichen möchte:

Unser gutes altes EMA existiert in diesem Jahr seit 136 Jahren. Wenn man Ihre Dienstjahre an unserer Schule addiert, so haben Sie mehr als ein halbes Jahrhundert lang unser Traditionsgymnasium mitgestaltet.

Schule war für Sie mehr als Routine. Sie waren alle drei Pädagogen, die sich mit Liebe, Kompetenz und Zuwendungsfähigkeit um Ihre Schülerinnen und Schüler bemüht haben. Natürlich haben Sie Schule nicht immer nur als Freude empfunden. Manchmal waren Sie auch gestresst, genervt, Sie haben sich geärgert: über Ihre Schülerinnen oder Schüler, über den Stunden- oder Vertretungsplan, über den Schulleiter, aber immer wieder haben Sie sich aufs Neue den Ihnen anvertrauten jungen Menschen zugewandt und sie mit all ihren Stärken und Schwächen angenommen, denn Sie haben Ihren Beruf geliebt.

Für Ihre Arbeit und Ihr Engagement für viele Schülergenerationen und für unsere Schule spreche ich Ihnen im Namen des gesamten Kollegiums Dank und Anerkennung aus.

Persönlich danke ich Ihnen allen für die gute, loyale Zusammenarbeit mit mir.

Folgende kleine Anekdote wird von einem Rabbi überliefert, dessen Namen ich leider vergessen habe.

Als ein Tourist einmal einen Rabbi zu Hause in seiner Wohnung besuchte, stellte er fest, dass der Rabbi in seiner Wohnung kaum Möbel hatte. Die Wohnung bestand im Wesentlichen aus einem Schreibtisch und vielen Regalen mit Büchern. „Wo sind deine Möbel, Rabbi“, fragte der Fremde? Darauf entgegnete der Rabbi mit einer Frage. „Wo sind denn deine Möbel?“ „Meine Möbel? Du weißt doch, Rabbi, ich bin doch nur auf der Durchreise.“ „Siehst du“, antworte der Rabbi, „ich auch.“

Ein Tag wie der heutige ist Abschied und Aufbruch zugleich. So formuliert es auch Hermann Hesse in vollendeter Poesie in seinem Gedicht Stufen zur Sinnbetrachtung des menschlichen Lebens:

„Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben,
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben. …“

Sie treten heute in den Ruhestand ein, eine Zeit dehnt sich für Sie, Sie haben jetzt alle Zeit der Welt, wie der Volksmund sagt. Mit gutem Gewissen einfach nur da sein, aus dem aktiven Schuldienst, einem Leben mit ungeheurem Termindruck aussteigen.

„Und es ist wahrlich ein Vergnügen, in aller Ruhe allein oder mit seinem Ehepartner zu frühstücken. Aber wie selten schaffen das verheiratete Leute inmitten ihres hektischen Alltags.“ (Anne Morrow Lindberg)

Ich habe einmal versucht herauszufinden, was Literaten und Philosophen über den Müßiggang geschrieben haben, der nun für Sie statt Schule auf der täglichen Speisekarte steht.

Aristoteles:
„Das Ziel der Arbeit ist die Muße, und die Muße ist die Schwester der Freiheit.“

Franz Kafka:
„Müßiggang ist aller Tugenden Krönung.“

Friedrich Schlegel:
„O Müßiggang! Du bist die Lebensluft der Unschuld und Begeisterung, dich atmen die Seligen, und selig ist, wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! Einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das noch aus dem Paradiese blieb.“

Die Bibel, Mathäus 6,28ff.
„Lernt von den Lilien, die auf dem Felde wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Ich sage euch: selbst Salomo war in seiner Pracht nicht so gekleidet wie eine von ihnen.“

Alles hat seine Zeit. Das sagte schon
Johann Wolfgang von Goethe:

„Das Nahe wird weit
Das Warme wird kalt
Das Junge wird alt
Das Kalte wird warm
Der Reiche wird arm
Der Narr gescheit
Alles zu seiner Zeit.“

Alles zu seiner Zeit. Sie beenden einen Lebensabschnitt, beginnen aber gleichzeitig einen neuen, einen – wie Ihnen die wenigen von mir ausgewählten Zitate hoffentlich gezeigt haben – wunderschönen, einen, um den Sie sicherlich viele beneiden.

Schließen möchte ich mit einer kurzen Geschichte, die Dschunag Dse, ein chinesischer Philosoph, aufgeschrieben hat.

„Als der Weise ostwärts zum Ozean reiste, begegnete er Yüan-Feng am östlichen Meer. ‚Wohin des Wegs?‘ rief er Ihm zu. ‚Ich gehe zum Ozean‘, antwortete der Weise. ‚Was willst du da tun?‘ – ‚Tun?‘ sagte der Weise. ‚Der Ozean ist ein Ding, das du durch Eingießen füllen oder durch Ausschöpfen leeren kannst. Ich gehe zu ihm, um mich an ihm zu erfreuen.’“

Auch Ihnen wünsche ich, dass Sie oft an den Ozean gehen können – was immer das für Sie ganz persönlich sein mag – einfach nur, um sich an ihm zu erfreuen.

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Laudatio für das Kollegium: Helmut Brammer-Willenbrock

Liebe Nelly,
Du gehörst zu denen, die eher im Stillen wirken, aber ganz bestimmt umso nachhaltiger.
Als Du 1980 ans EMA gekommen bist, da war ich auch neu da. Ich habe immer überlegt, was das wohl für ein Akzent sein könnte, mit dem Du sprichst. Ostpreußisch war es nicht, das kenne ich ganz gut. Nein, viel weiter weg; Du warst die erste Aussiedlerin aus der damaligen Sowjetunion, die mir begegnet ist.

Wir waren zusammen in Berlin, in Twer und St. Petersburg. Dort – es war 1991, vor zwölf Jahren – hörte ich Dich zu Deinem Mann sagen: „… oder meinscht net?“ – in schönstem Badisch. Deine Vorfahren sind nämlich vor ein paar hundert Jahren aus der Region Karlsruhe nach Russland ausgewandert.
Im Oktober 1992 haben wir die Kollegen von unserer Partnerschule aus Twer abgeholt; sie wollten an der 125-Jahr-Feier des EMA teilnehmen. Das war eine lange Reise mit Hörnschemeyers Bus nach Brest an die polnisch-weißrussische Grenze. Nun hatte Weißrussland seine Ölrechnung an Russland nicht bezahlt, und Russland hatte die Lieferungen reduziert, und wir mitten in diesen außenpolitischen Wirren … Denn wir waren mit den Austauschpartnern aus Twer losgefahren zur Grenze.
Doch da hieß es: „Die Deutschen dürfen weiterfahren, die Russen müssen aussteigen, die lassen wir nicht durch.“
Es folgten endlose Verhandlungen mit den Grenztruppen; Larissa – sie sitzt dort hinten – war auch dabei. Ihr kamt zurück: „Die Lage an der Grenze ist kompliziert.“ „Die Lage an der Grenze ist ernst.“
Nach ungefähr 20 Stunden wurden wir doch durchgelassen.
Ich höre Dich noch, liebe Nelly, als wir in dem einen Dienstgebäude im Treppenhaus standen und stundenlang warteten: „Mein Gott, die gleichen Räume, die gleichen knarrenden Fußböden, die gleiche Gemeinheit – alles genauso wie damals, als wir unseren Ausreiseantrag gestellt hatten und immer wieder auf die Behörde mussten.“
Nelly, wenn man ein Itinerar Deines Weges zeichnen wollte, so müsste man – Karlsruhe lassen wir mal weg – in Georgien (in Traubenberg bei Tiflis) beginnen, dann folgte 1941 die Zwangsdeportation nach Sibirien und Kasachstan und schließlich die Ausreise nach Deutschland.
Wer könnte -, deutsch, russisch, badisch – die Multikulturalität des EMA besser verkörpern als Du?

Liebe Nelly!
Als Geschenk darf ich Dir namens des Kollegiums einen „Poetischen Reiseführer St. Petersburg“ in deutscher und russischer Sprache (badisch gibt es leider nicht) überreichen – und diese Rose.

für den Schulpersonalrat:
H. Brammer-Willenbrock

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